Festwochen: Eroberer und Opfer in den USA

Die Qual frommer Siedler in der Gründerzeit der USA: Eine an Gott zweifelnde Puritanerin zerreißt sich das Gewand.
Die Qual frommer Siedler in der Gründerzeit der USA: Eine an Gott zweifelnde Puritanerin zerreißt sich das Gewand.(c) Guido Mencari
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Romeo Castelluccis "Democracy in America" erweist sich als recht brave historische Übung.

Über die Jahre hat Romeo Castellucci das Publikum der Wiener Festwochen mit fantastischen, skandalösen, bildmächtigen, vereinzelt auch nur platt provokanten Inszenierungen überrascht. Der Regisseur aus Cesena, der seine Abende oft eigenhändig mit Kostümen und Bühnenbildern ausstattet, lässt kaum Betrachter kalt. Diese Saison aber, beim Gastspiel von „Democracy in America“, das am Dienstag im Volkstheater Premiere hatte, ist eben das passiert – Lauwarmes.

Puritanische Volkshochschule

Die wenigen Bilder, angeblich frei nach dem Klassiker des französischen Gelehrten Alexis de Tocqueville assoziiert, waren mit zirka hundert Minuten zwar kurz, doch nicht kurzweilig, geübt wurde punktuell mit Sprachkritik in recht origineller Art, aber sie blieb meist stumm, versagte sich dem Verständnis. Die eingeblendeten Daten aus der US-Geschichte von der Revolution im 18. bis zum Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert und manchmal darüber hinaus waren streng abstrakt wie ein puritanischer Volkshochschulkurs. Das ist wohl die Höchststrafe: Man geht in eine Aufführung des italienischen Skandalons und schläft fast ein bei dieser sensiblen Kontemplation.

Es ist nicht einmal mit Sicherheit festzumachen, ob Castelluccis Geschichtsstunde politisch korrekt war. Im Zweifel lautet das Urteil eher „belanglos“, vor allem, wenn man die Aufführung mit dem Buch vergleicht, das de Tocqueville nach einer ausgedehnten Reise durch die Vereinigten Staaten geschrieben hat. Der junge Adelige war 1831/32 im Auftrag seines Landes in die USA gereist, um deren modernes Gefängnissystem zu studieren. Er verarbeitete seine Erfahrungen im ersten großen Werk vergleichender Politologie. Diese musterhafte Analyse von Demokratie und Religion, von Freiheit und Gleichheit ist bis heute Pflichtlektüre für politisch verantwortliche Menschen.

Bei den Festwochen bekommt man davon Häppchen zu sehen, zuweilen hinter semitransparentem Vorhang, auf dem Stichworte aufleuchten. „Glossolalia“ zeigt gleich die Richtung an: eine Tonaufnahme von 1980, in der Pfingstler in Oklahoma in fremden Zungen reden – in dem Jahr, als der Republikaner Ronald Reagan, mithilfe auch der religiösen Rechten, einen neuen Morgen für Amerika versprechend, die Wahl gewann.

Ein Ballett vollführt Wortspiele

Die Regie macht aus de Tocquevilles Titel in der nächsten Szene ein lebhaftes Wortspiel. Der Vorhang hebt sich, 18 Tänzerinnen in hellen Uniformen und Schildkappen vollführen zackige Bewegungen. Dieser Aufmarsch würde jeder Volksrepublik zur Ehre gereichen. Sie heben nach jedem Tanz ihre Standarten, auf denen je ein Buchstabe steht, zu immer neuen Standbildern. Aus „Democracy in America“ wird „Aerodynamic Ceramic“, „Car Comedy in America“, oder „Diary Mecca Romance“. Das ist eine Weile anregend und flott. Die lange Szene klingt mit kürzeren Ländernamen aus. „India“. Eine der Tänzerinnen entkleidet sich, beschmiert sich mit Blut, schlägt ihre hüftlangen Haare gegen eine Metallstange, erzeugt so Klänge.

Jetzt wird es brav historisch, Episoden aus dem Neuen Jerusalem: Zwei puritanische Siedler, die sich 1789 vergeblich auf ihrem kargen Feld abrackern. Die Kinder hungern, die Frau wird des Diebstahls angeklagt. Ist in sie, wie ihr Gatte vermutet, der Geist einer Indianerin eingefahren? Sie spricht in fremden Zungen. Hat sie eine Tochter verkauft? Das würde nicht wundern in einem Land der Sklaverei. Nächste Szene: ein Relief, das Eroberer und Besiegte zeigt. Dann wollen zwei Chippewa Englisch lernen (zwei aus diesem Stamm der Anishinabek haben de Tocqueville geführt.) Fürs noch mattere Finale schälen sie sich aus roter Kunsthaut. Es plätschert. Es tönt. Es ist finster. Herrschaft instrumentalisiert Sprache. Hier garnieren Worte bloß Bilder. Die sind meist sinnlich, manchmal auch verstörend. Oder eben nur gefällig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2017)

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