Wiener Festwochen

Nur Petzner verhöhnte die „Elitären“ im Schauspielhaus

(c) Schauspielhaus Wien
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Das Diskurs-Experiment „Agora“ geriet zum netten, kleinen Treff für Unzufriedene aus Bobostan.

Die Veranstaltung mutet wie die Wiederkehr der „Stadtgespräche“ im ORF der Sechzigerjahre an. Betroffene Bürger erhalten jeweils für ein paar Minuten ein Forum; dieser Quotenhit bedeutete einst gelebte Demokratie. In der Koproduktion des Wiener Schauspielhauses mit den Festwochen war der Rahmen bescheidener, und statt des dröhnenden Entertainers Helmut Zilk moderierte Robert Misik – ein publizistischer Tausendsassa, der Analysen über darbende Gesellschaften verfasst oder Blogs mit Linksdrall veröffentlicht, wenn er sich nicht gerade mit der Hagiografie des Kanzlers beschäftigt. Sein gut zweistündiges Diskurs-Experiment „Agora“, mit dem Schweizer Regisseur Milo Rau konzipiert und am Montag in Wien uraufgeführt, ist ein respektables kleines „Stadtgespräch“ für Unzufriedene aus Bobostan geworden.

Thema auf dem Marktplatz der Ideen, der bis 14. Juni sechsmal mit wechselnder Besetzung fortgesetzt wird: „In was für einem Land wollen wir eigentlich leben?“ Misik hielt sich dabei angenehm zurück.
Aber wie bringt man die Leute zum Reden? Umrahmt wurde der zweistündige Abend mit zwei von Ensemblemitgliedern des Hauses gespielten Szenen, die allgemeine Tiraden über Politik persiflierten. Als Bonus-Track gab es den Videoclip einer Straßenbefragung zur Definition des Schlüsselwortes Demokratie und einen Impuls des Historikers Philipp Blom, der wie ein neuer Malthus Apokalypse-Atmosphäre in den Saal brachte. Auf dem Podium saßen der Psychiater August Ruhs, das Politik-Faktotum Stefan Petzner, die Politologin Chantal Mouffe als post-philosophischer Aufputz, Claus Pándi von der „Kronen Zeitung“ als Boulevard-Gottseibeiuns und der Afghane Möstafa Noori als Beispiel gelungener Integration. Diese bunte Gruppe blieb großteils zivilisiert. Bloß Frau Mouffe scherte aus. Sie zeigte ihre Verachtung für konsensualen Mainstream links und rechts der Mitte und speziell für Frankreichs neuen Präsidenten Macron. Er ist für sie ein Symbol des post-politischen Status quo. Ihr Herz pocht offenbar weiter linksaußen, im Gegensatz zu dem Petzners, der zu wissen glaubte, was die „echten“ Leute da draußen denken. Er verhöhnte das „elitäre“ Festwochen-Publikum: „Die fünf Prozent hier“ seien „in Floridsdorf nicht relevant“. Misik und Pándi betonten ihre 30 Jahre währende Freundschaft, man spürte die Eintracht von Sozialdemokratie und „Krone“. Noori meinte, er habe viel Glück gehabt bei seiner Aufnahme in Wien.

„Mehr Demokratie wagen!“

Die Bürger mussten lange gebeten werden, ehe das Gespräch in Gang kam. Der rote Faden fehlte. Das Niveau war durchwachsen, manche Ansicht bizarr: „Weg mit den Politikern, her mit Fachleuten!“ Rasch wechselten sich Bekenntnisse zur Nächstenliebe, zum Kemalismus, zu direkter Demokratie ab. Pándi wurde wie Petzner prinzipiell getadelt (sie gerierten sich willig defensiv), Mouffe für ihre Abgehobenheit. Zustimmung fand, dass die Politiker sich wieder was trauen sollten. Ein Soundbite Willy Brandts aus den Sechzigerjahren bestätigte das: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ Dieser Anspruch des SPD-Politikers bleibt stets aktuell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2017)

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