Hilde Sochor, die Mutter Courage des Volkstheaters, ist tot

Die Presse
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Eine herbe Dame und eine große Schauspielerin ist gestorben: Hilde Sochor wurde 93 Jahre alt. Über 60 Jahre war sie am Wiener Volkstheater, zuletzt als Doyenne.

Kinder, Küche, Bühne“, hießen ihre Lebensaufzeichnungen – und das trifft es exakt. Hilde Sochor war nicht nur Schauspielerin, sie war Ehefrau des bedeutenden Volkstheaterdirektors Gustav Manker, der gewiss nicht unschwierig war, und Mutter dreier Kinder, darunter der von ihr vergötterte – und ebenfalls nicht unschwierige – Paulus Manker. Als lebende Legende rühmte sie Michael Schottenberg – das wollte sie nun ganz gewiss nicht sein.

Das Weihevolle lag ihr fern, in ihrer Kunst wie in ihrem Leben. Sie war eine äußerst herbe Dame, eine bedeutende Schauspielerin und Menschendarstellerin. Das heißt, dass sie immer wahrhaftig war. Sie galt als volkstümlich, aber sie war auch eine Intellektuelle, sie hatte Theaterwissenschaften studiert und auch den Doktor gemacht. In einen „Weiberhaushalt“ in Breitensee geboren, absolvierte Hilde Sochor das Nobelgymnasium Wenzgasse und wollte Kulturkritikerin werden. Das Theater packte sie unmittelbar, sie blieb 60 Jahre am Volkstheater, spielte dort unter anderem die Mutter Courage und war sie auch in den wechselhaften Zeitläuften dieser immer wieder krisengeschüttelten Bühne, die sich aber letztlich doch immer behauptet hat.

Sochor hat sehr unterschiedliche Rollen gespielt: 1948 Gretchen im „Urfaust“, viel Raimund und Nestroy, Lady Bracknell in Oscar Wildes „Ernst sein ist alles“ oder die widerspenstige Großmutter in „Grace & Glorie“ von Tom Ziegler. Auch ihr Solo in „Amiwiesen“ von Kerstin Specht ist in starker Erinnerung geblieben - und natürlich "Weiningers Nacht" von Joshua Sobol, in dem Sochor mit Paulus Manker zu sehen war.  Sochor wirkte nie träge oder müde, sie warf sich in alles hinein, mit dem ihr eigenen Temperament – und sie war, wie man in Wien sagt, ein „Häferl“, jederzeit explosiv, aber auch leidenschaftlich.

Nestroy, Horváth, Dürrenmatt

In ihrem Buch gibt es ein intimes Foto mit ihrem verstorbenen Mann, Gustav Manker, sie küsst ihn inniglich, sie war in all ihrer Rauheit ein herzlicher Mensch: „Ich hab in meinem Leben so viel Glück gehabt“, steht unter dem Foto. Unmöglich, alle ihre Rollen aufzuzählen, von der Beschließerin Frau Schnabel in Nestroys „Die schlimmen Buben in der Schule“, die sie im zarten Alter von 21 Jahren spielte, über die Madame Fischer im „Jux“ oder das Lieschen im „Alpenkönig“ bis zur gallbitteren Großmutter in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Sochor war aber auch eine großartige Mathilde von Zahnd in Dürrenmatts „Die Physiker“. Dass sie immer so treffsicher agierte, hatte gewiss damit zu tun, dass sie eben nicht nur eine Schauspielerin war, sie kannte den Über-und den Unterbau der Bühnenkunst.

2004 spielte sie mit der ihr eigenen Überzeugungskraft mit Stermann & Grissemann im Rabenhof in einer Hommage an den Werner Schwab. Die Bezeichnung Volksschauspielerin hat sie immer gehasst, weil sie eben nur einen Teil ihrer Persönlichkeit benannte, aber als Volksschauspielerin wurde sie besonders geliebt. Ihren Neunziger feierte sie mit einer Matinee an ihrem Stammhaus, an dem sie auch viele Kämpfe und Herausforderungen zu bestehen hatte. Mit 93 Jahren ist diese vitale Frau nun gestorben.

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