Gutenstein: Alpenkönig im Trenchcoat am Rummelplatz

Im Eispalast zum Alpenkönig mischt sich echte Katharsis mit Schimäre. Das Ensemble ergötzt sich an Commedia dell'Arte (zweimal Rappelkopf: Matthias Mamedof und Andrea Eckert, r.).
Im Eispalast zum Alpenkönig mischt sich echte Katharsis mit Schimäre. Das Ensemble ergötzt sich an Commedia dell'Arte (zweimal Rappelkopf: Matthias Mamedof und Andrea Eckert, r.).(c) ROBERT LUNAK/Raimundspiele Gutenstein/Joachim Kern
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Die frühere Wiener Volkstheater-Direktorin Emmy Werner inszenierte Raimund, ein gemischtes Vergnügen. Die Premiere begleitete ein heftiger Wolkenbruch. Prinzipalin Andrea Eckert gefällt als Menschenfreundin und -feindin.

Positive Kritiken wünschte sich der Bürgermeister von Gutenstein Mittwochabend vor der Premiere von Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“. Der Wettergott war ungnädig, der Regen trommelte so laut aufs Zeltdach, dass er die Schauspieler streckenweise fast übertönte. Ex-Volkstheater-Direktorin Emmy Werner hat inszeniert, in ihrer Ära (1988–2005) spielte Gutenstein-Prinzipalin Andrea Eckert große Rollen, sie war auch als Werners Nachfolgerin im Gespräch. Jetzt ist es anders. Eckert leitet die Sommerspiele in Raimunds Urlaubsort – und sie gibt den Alpenkönig, ein cooler Detektiv mit Hut und Trenchcoat. Sehr schön, aber warum?

Werner hat Eckert anscheinend machen lassen, was diese wollte. Als Rappelkopfs Doppelgänger präsentiert Eckert eine krasse akrobatische Nummer mit leichten Commedia-dell'Arte-Anklängen, sie rast über die Szene und röhrt. Dabei hat sie diese wunderbare, markante melodische Stimme, weniger wäre hier mehr gewesen.

Zwischen Heiterkeit und Melancholie

Katharina Wöppermann stellte einen Rummelplatz – mit Autodrom und Irrgarten – auf die Bühne. Rechts steht ein Miniglashaus. Das ist eine sonderbare Idee. Raimunds Original-Zauberspiel aus dem Jahr 1828 zeigt die Läuterung eines Großstadtflüchtlings durch die Natur. Heute würde man sagen, Rappelkopf hat durch mutmaßlich halsbrecherische Geschäfte und menschliche Enttäuschungen einen Burn-out erlitten. Das Stück führt einerseits Maschinentheater vor, was bei Sommerspielen schwer zu machen ist, andererseits ist eine mystische Katharsis zu erleben: Handelsmann Rappelkopf kann sich auch auf dem Land nicht erholen, er schikaniert seine Familie, seine Bediensteten, er flieht in den Wald, kauft einer armen Familie ihre Hütte ab, kann aber seine Paranoia nicht loswerden. Erst durch die tobenden Elemente und die Erscheinungen Verstorbener, seiner Frauen, die er ins Grab brachte, kommt er zur Besinnung – und schließt einen Pakt mit dem Überirdischen.

Es mag ja sein, dass manchen der Schreck in der Geisterbahn eines Besseren belehrte, aber dieses Bühnenbild wirkt doch eher unfreiwillig komisch. Matthias Mamedof als Herr von Rappelkopf kämpft mit der Balance zwischen Komik und Tragik, triumphiert aber letztlich dank seiner Ausstrahlung und Charakterkunst. Mit ihren Inszenierungen (Nestroy, Jelinek) hatte Werner in ihrer Zeit am Volkstheater große Erfolge. Auch hier spürt man ihre kundige Hand, etwa für das Liebespaar Malchen und August (Tanja Raunig, Stefan Rosenthal).

Malchen mit kurzen roten Haaren und Brille möchte, bevor August aus Italien heimkehrt, noch schnell ein Löckchen an ihrem Kopf anbringen. Aber hier wird es kein Problem sein, wenn die Frau die Hosen anhat, August ist ein rechtes Weichei. Mit langem roten Rock und Barett vorteilhaft kostümiert schnieft Rappelkopfs Gattin Sophie (Annette Isabella Holzmann) beständig in ihr Taschentuch, des Öfteren fällt sie auch in Ohnmacht. „Bože! Bože!“, ruft immer wieder das Dienstmädchen Lise (Anita Kolbert), „Oh, mein Gott!“ ist nicht nur der serbokroatische Lieblingsseufzer. Eduard Wildner ist mit seiner in alle Richtungen gesträubten Tonsur und seinen Hochwasserhosen schon allein optisch eine gediegene Lachnummer.

In die Tiefen des Dieners, der „zwei Jahr in Paris war“, was er jedem und jeder unter die Nase reibt, ist Wildner nicht eingetaucht, sein Habakuk ist trotzdem recht witzig. In dieser Figur steckt ein beliebter Typus des Altwiener Volkstheaters. Raimund veredelte – vor allem sprachlich – den Thaddädl, eine schlichtere Form des Kasperls, auch hier spielt die Commedia dell'Arte herein.

Die Pointen sitzen, die Musik begeistert

Die österreichisch-ungarische Monarchie war multikulturell, wie man das heute nennt. Die Angehörigen vieler Nationen – mit slawischer Basis und einem deutsch-französisch-italienischen Überbau – konnten einander nicht besonders leiden, was viel Stoff für – manchmal recht gemeine – Scherze lieferte. Habakuk illustriert aber auch das Elend älterer Bedienter, wer rausgeschmissen wurde, musste unter der Brücke schlafen. Raimunds Bauer als Millionär wird, nachdem er sein Geld verloren hat, zum Aschenmann, ein Todessymbol. Das Vanitas-Motiv klingt auch in der Hüttenszene an: „So leb denn wohl du stilles Haus“.

Walther Soyka, eine Institution des neuen Wiener Liedes, verfremdete äußerst flott, schräg und theatralisch Wenzel Müllers Originalmusik. Das Publikum fand den Ausflug ins „Regietheater“ im sehr traditionellen Gutenstein nicht durchwegs erfreulich. Zur Trachtenkapelle passt Werners Inszenierung in der Tat nur bedingt. Trotzdem ist sie amüsant, die Pointen sitzen. Auf ihrer Linie, etablierte Profis für ihre Sommerspiele zu engagieren, sollte Eckert unbedingt bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2017)

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