ImPulsTanz

Kann man ein Gebet in Tanz übersetzen?

"A Love Supreme"
"A Love Supreme"(c) Herman Sorgeloos
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Beim Festival ImPulsTanz sah man eine Choreografie zu John Coltranes Jazz-Meisterwerk "A Love Supreme".

52 Jahre ist „A Love Supreme“ nun alt, und es packt immer noch: Zugleich inniges Gotteslob und ekstatische Gottessuche, atmet das viersätzige Werk, das an der Schwelle zum Free Jazz stand, den Geist eines Aufbruchs, den man – obwohl John Coltrane selbst den letzten Satz explizit „Psalm“ nannte und in ihm Wort für Wort ein auf dem Cover abgedrucktes Gebet vertonte – vielleicht auch nicht religiös verstehen kann. Dass es, wie es im ImPulsTanz-Programmheft heißt, „eine bislang ungehörte sexuelle Energie“ verströme und „eine Politizität“ (sic!) entfalte, scheint freilich etwas weit hergeholt.

Kann man dieses Stück, das programmatisch an die Grenzen des Ausdrucks geht – obwohl spätere Aufnahmen des 1967 gestorbenen Coltrane, „Ascension“ etwa, noch weiter gingen –, denn in Tanz übersetzen? Nein, das wäre Anmaßung. Das behaupten Salva Sanchis und Anne Teresa De Keersmaeker, die zu „A Love Supreme“ ein Tanzstück geschrieben haben, auch nicht explizit; im Programmheft steht es allerdings, da ist sogar von einer „buchstäblichen Übersetzung in den Tanz“ die Rede, was bei zwei Kunstformen, die gemeinhin ohne Buchstaben auskommen, verblüfft. Und einen prinzipiellen Einwand nahelegt: Wie soll derart Himmelstürmerisches in eine Kunstform übersetzt werden, die durch die Schwerkraft an den Boden gebunden ist? Immerhin, man kann's versuchen, und das tut dieses Stück. Und der Kritiker – zugegebenermaßen dem Jazz näher als dem Tanz – kann versuchen, es zu verstehen.

Hebefiguren zum „Psalm“

Der Ansatz ist formal schlicht: Die vier Tänzer verkörpern je ein Instrument des Coltrane-Quartetts. Dabei verzichten sie weitgehend darauf, das Spiel zu simulieren, also z. B. Luftsaxofon zu spielen, versuchen eher, den Gestus zu illustrieren, was bisweilen ganz gut gelingt. Allerdings scheint spätestens im dritten Satz („Pursuance“) das Bewegungsrepertoire auszugehen, all das Winden und Drehen ist der Inbrunst der Musik nicht mehr gewachsen. Zum „Psalm“ dann wechselt das Ensemble wirkungsvoll die Tanzsprache: Es bildet Tableaus, vor allem beginnen die drei, die Schlagzeug, Bass und Klavier verkörpern, den vierten, den Saxofonisten also, zu heben. Am Ende verlassen alle vier die Bühne, bevor der letzte Ton verklungen ist. Ein Zeichen des Respekts? Des Bewusstseins dafür, dass die „Übersetzung“ scheitern musste? Viel Jubel jedenfalls für ein mutiges Projekt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2017)

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