Ein „unerhörter Familienkrimi“ Ebner-Eschenbachs im Thalhof

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Anna Maria Krassnigg, die Intendantin des Salon 5, bringt bei ihrem Sommerfestival an der Rax Klassiker wie auch junge Autoren: „Wir wollen die damalige Avantgarde aufführen und die heutige uraufführen.“ Die Entdeckung dieses Jahres ist Mario Wurmitzer – „richtiges Volkstheater“.

Die Presse: Sie gehen mit Ihrem Salon 5 in die dritte Saison als Sommerfestival. Es beginnt diesen Freitag mit Theater im Thalhof in Reichenau. Was sind die bisherigen Erfahrungen beim Gang aufs Land?

Anna Maria Krassnigg: Wir haben uns etabliert, obwohl wie üblich geunkt wurde, dass es da draußen schon genug an Theater gebe. Wir sehen uns auch nicht als Sommertheater, sondern wollen all diesen literarischen Größen, die an der Rax und am Semmering geurlaubt und gewirkt haben, würdig begegnen. Sie waren Quergeister und nicht Zudiener. Wir wollen die damalige Avantgarde aufführen und die heutige uraufführen. Der Plan ist aufgegangen.


Was war Ihr erster Eindruck von diesem uralten, großen Haus, das nun Ihre Spielstätte geworden ist?

Der Thalhof ist von erschreckender Schönheit, wie er da mit unverbautem Blick über dem Tal prangt. Man spürt hier die Geschichte, und es ist doch locker und befreiend, an diesem Ort zu spielen – wie an einem Filmset. Der Thalhof öffnet das Denken. Man kann jene gut verstehen, die sich aufmachen, um nach einer Stunde Auto- oder Zugfahrt eine komplett andere Welt zu erfahren. Allein die Landschaft kann höchst dramatisch sein, vor allem wenn ein Gewitter aufzieht wie der Weltuntergang.

Kommen wir zu den Autoren. Welche sollen es denn sein?

Wir können aus dem Vollen schöpfen aus mehr als 200 Jahren österreichischer Literatur – Grillparzer, Nestroy, Lenau, Hebbel, Ebner-Eschenbach bis hin zu Robert Schindel. Gebracht werden sollen vor allem Texte, die sonst auf keinen Spielplänen stehen. Besonders junge Autoren der Gegenwart werden hier gefördert. Auf die neueste Literatur bin ich unheimlich neugierig und auch froh, wenn mir Experten wie Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl oder Peter Roessler Tipps zustecken. Ich mag das Drama, das Storytelling, das manche – ganz gegen meine Ansicht – für überholt halten.


Was für eine Mischung an Premieren wird es in diesem Sommer geben?

Mario Wurmitzer ist für mich faszinierend. Dieser noch sehr junge Mann hat mit „Werbung Liebe Zuckerwatte“ richtiges Wiener Volkstheater geschrieben, das wir am 10. August uraufführen. Sein Stück ist immer aktueller geworden, seit es vor drei Jahren abgeschlossen wurde. Der Terror hat damals wahrscheinlich noch nicht so bedrohlich gewirkt, Fake News gab es noch nicht im allgemeinen Wortgebrauch. Das Stück hat zwei Ebenen – einen filmischen Rückblick, der im Riesenrad spielt, und einen aktuellen Strang, der Vertuschen und Verdrehen zum Thema hat. Es geht um die Zukunft der Jugend. Wurmitzers Geschichte von Franz und Marie spielt im Prater. Parallelen zu Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ sind durchaus beabsichtigt.

Bei den Klassikern haben Sie sich für die Dramatisierung einer kurzen Erzählung von Maria von Ebner-Eschenbach entschieden. Was hat Sie an „Die Totenwacht“ interessiert?

Über die Jahre ist bei mir eine große Liebe zu den Texten von Ebner-Eschenbach erwacht. Sie hatte zunächst als Dramatikerin begonnen, wurde von der Kritik verrissen. Man hat ihr das Schreiben für die Bühne ausgetrieben. Die Dramatisierung der Erzählung, die bei uns „Am Ende eines kleinen Dorfes“ heißt und diesen Freitag uraufgeführt wird, könnte ein sehr guter Einstieg werden, sie wieder für die Bühne zu entdecken. In perfekter Einheit von Ort, Zeit und Handlung spielt sich ein unerhörter Familienkrimi ab. Bei dieser Autorin geht es wirklich zur Sache.


Am 6. August hat „Raxleuchten“ Premiere. Wie ist es zu dieser Collage gekommen?

Die Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl hat einen erstaunlichen Streifzug durch die „private Literatur“ prominenter Rax-Urlauber zusammengestellt. Wetter, Liebe, Leid, die Beziehung zu Natur und Menschen werden in Briefen, Tagebüchern, Reisebeschreibungen von Nestroy, Lenau, Ebner-Eschenbach und anderen thematisiert. Das fabelhafte Simply-Quartett begleitet dieses literarische Scherzo kammermusikalisch.


Sie sind Professorin am Reinhardt Seminar, Intendantin, schreiben und inszenieren. Warum tun Sie sich das alles an?

Das ist eine zentrale Frage für mich. Natürlich sind wir Menschen nicht so sehr für Multitasking geeignet, wie es vor allem Frauen zugeschrieben wird. Doch ich halte mich an Thomas Bernhard: „Die eine Kunst durch die andere“! Es hat etwas Befreiendes für den Kopf. Wenn ich mir als Professorin anmaße, den nächsten Generationen Schauspielführung, Ästhetik, Mittelanhäufung, Textexegese und all dieses Handwerk des Theaters beizubringen, dann muss ich es auch tun. Das Schreiben war für mich vorher da. Inszenieren ist für mich, wie ich einmal als junge Regisseurin gesagt habe, Schreiben mit Menschen.

Zur Person

Anna Maria Krassnigg, * 1970 in Wien, ist Regisseurin, Autorin, Schauspielerin, Theaterleiterin und seit 2012 Professorin für Regie am Reinhardt Seminar. Marie v. Ebner-Eschenbach, auf Schloss Zdislawitz in Mähren 1830 geboren, 1916 in Wien gestorben, zählt mit ihrer psychologischen, poetischen, realistischen Prosa zu den wichtigsten deutschsprachigen Dichterinnen ihrer Zeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2017)

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