ImPulsTanz: Drei Körper für Stephen Hawking

(C) ImPulsTanz/ Sandra Fockenberger
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Wer kann den gelähmten Physiker besser spielen: eine Behinderte oder ein Nichtbehinderter? Das wird im Stück „The Audition“ behandelt. Gewagt, gelungen.

Den Film „The Theory of Everything“ gibt es wirklich, er lief 2015, „ein besonders übles Beispiel der Kinogattung Biopic“ nannte ihn „Die Presse“, er serviere „den Lebens- und Leidensweg des britischen Kosmologen Stephen Hawking als dampfend warme Tasse Weihnachtskitsch“. War wohl so. Doch hinter dem Kitsch steckt ein reales tragisches Schicksal, ein Mensch, dessen Kontrolle über seinen Körper radikal geschrumpft ist, durch die Nervenkrankheit ALS. Sie begann, als Hawking kaum 20 Jahre alt war, heute ist er 75, kann längst nur mehr einen Wangenmuskel und die Augen willentlich bewegen.

Im Film hat ihn ein nicht behinderter Schauspieler dargestellt. Warum nicht ein Behinderter? Täte sich ein solcher nicht leichter, den behinderten Hawking zu spielen? Vielleicht, aber fällt ihm es nicht dafür umso schwerer, den frühen, noch nicht behinderten Hawking darzustellen?

Die Casterin bleibt sachlich

Von dieser Problemstellung geht das Stück „The Audition“ aus. Zwei tatsächlich behinderte Schauspielerinnen von der Gruppe Liz Art Productions (entzückend: Cornelia Scheuer, bezaubernd: Elisabeth Löffler) und ein nicht behinderter Akteur (ebenso glaubhaft bemüht: Dominik Grünbühel) bewerben sich um die Filmrolle des Stephen Hawking und müssen der glatt-freundlichen Hollywood-Casterin (superprofessionell: Anna Mendelssohn) Szenen aus dessen Leben vorspielen, in chronologischer Reihenfolge. Die Beeinträchtigung, die Schwäche, die sie spielen sollen, wird allmählich stärker, von „zero disability“ zu „severe disability“, während ihr eigener Zustand gleich bleibt. In ihn fallen sie nach der jeweiligen Szene zurück, wenn die (routiniert kitschige) Musik schlagartig aussetzt. Dann entkrampfen sich die Finger, die Kopfhaltung wird gerader – aber eben bei Scheuer und Löffler nicht ganz gerade. „Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen: Steigen Sie im wirklichen Leben auf dieselbe Art in den Rollstuhl?“, fragt die stets sachliche Casterin einmal.

Natürlich provoziert das Stück Mitgefühl, mit den Akteurinnen und indirekt auch mit dem gelähmten Physiker. Es ist rührend, aber nie rührselig. Manchmal ist es sogar komisch, man lacht und denkt gleich nach, über welche Ungeschicklichkeit man lachen darf und über welche nicht (mehr). Und es suggeriert auch nicht die Relativierung, die die Versuchsanordnung nahelegen könnte: dass es ohnehin nur auf den Standpunkt ankomme, wer behindert sei, und wer nicht, dass man nur von „Herausforderungen“ sprechen könne.

Die Herausforderungen der Regie bewältigt hat Yosi Wananu von der Theatergruppe Toxic Dreams, die sich auf seltsame Anordnungen und Publikumsbeteiligung versteht. (So hat man bei ihr einmal am letzten Dinner vor der Ermordung Kennedys teilgenommen.) Eine weise Entscheidung war es, diesmal der Versuchung zu widerstehen, das Publikum beim Casting mitstimmen zu lassen: Wir wären überfordert gewesen.

Wiederholung: 11. 8., 19 Uhr, Schauspielhaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2017)

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