Anna Badora & Katharina Klar: Feldherren, Friedensomas

Scheideweg. Volkstheater-Chefin Anna Badora setzt ihr mutiges Programm fort (mit Katharina Klar, r.).
Scheideweg. Volkstheater-Chefin Anna Badora setzt ihr mutiges Programm fort (mit Katharina Klar, r.).(c) Christine Pichler
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Regisseurin Anna Badora und Schauspielerin Katharina Klar über den Vater aller Kriege, den Trojanischen, und Kriegsmütter – genauer: Großmütter.

Volkstheater-Chefin Anna Badora kombiniert zum Saisonauftakt Euripides‘ „Iphigenie in Aulis“, bearbeitet von Soeren Voima, mit „Occident Express“ von Stefano Massini: Der Weg führt vom alten Griechenland in den heutigen Irak und über die Balkanroute nach Europa. „Banden und Stämme“ müssen durch ein „Nationalgefühl“ aufeinander eingeschworen werden, ein Vater und Feldherr opfert seine Lieblingstochter, erzählen Badora und Katharina Klar, die Iphigenie spielt. Für Klar erlebt die junge Frau eine Art Persönlichkeitsspaltung, wenn sie sich von der hoffnungsvollen Braut zur Galionsfigur eines Heeres wandelt, das in einem neuen Wir-Gefühl schwelgt. „Das Besondere ist, dass es eine Frau ist, die hier agiert“, sagt Klar. Parallelen zu aktuellen Weltkonflikten sind gegeben.

Agamemnon, Feldherr und Vater von Iphigenie, opfert diese, um von den Göttern günstige Winde für seine Heerfahrt nach Troja zu erlangen. Was steckt da dahinter?
Anna Badora: Euripides‘ Stück zeigt eine Momentaufnahme kurz vor dem Ausbruch des Trojanischen Krieges, der als „Vater aller Kriege“ bezeichnet wird. Das griechische Heer sitzt wochenlang in einer Bucht wegen einer Flaute fest, eine Meuterei gegen die Verantwortlichen droht. König Agamemnon hat damit die letzte Möglichkeit, mit seinem Heer wieder nach Hause zurück zu kehren. Er entscheidet sich, seine Tochter zu opfern.

Hat Agamemnon keine Skrupel?
Anna Badora: Doch, er steckt in einem moralisch-strategischen Konflikt; als Vater graust ihm vor diesem Opfer, als König und Oberbefehlshaber seines Heeres kann er auf den Krieg kaum verzichten, ohne seine Glaubwürdigkeit und Macht zu verlieren.

Was bedeutet der Iphigenie-Mythos für Sie, Frau Klar?
Katharina Klar:
Iphigenie, das sind eigentlich drei Figuren. Die erste ist kindlich und unbedarft, sie freut sich zunächst, ihren Vater wiederzusehen und auf ihre Heirat mit Achill. Iphigenie ist Agamemnons erste und seine liebste Tochter. In der nächsten Szene fleht Iphigenie mit allem, was sie hat, um ihr Leben, sie möchte lieber das elendste Dasein ertragen als zu sterben. Dann droht die Lage im Heer, das ja übrigens nicht auftritt, zu eskalieren. Und am Ende ist Iphigenie bereit, mehr als bereit, zu sterben.

Frauen, Mädchen waren für die alten Griechen nicht viel wert.
Anna Badora: Als Opfer waren sie aber hoch begehrt, gerade Jungfrauen. Ihr Tod diente meist, wie in „Iphigenie“, einem „höheren Ziel“, ein Narrativ, dass dem Zusammenhalt der Gesellschaft nutzte.

In Wahrheit hatte der Mord einen politischen Sinn.
Katharina Klar: Das Heer ist am Anfang des Stückes noch nicht einig und aufeinander eingeschworen, das muss man sich eher wie einen Zusammenschluss von Banden und Stämmen vorstellen. Sie brauchen diesen gemeinsamen Krieg gegen das reiche Troja, das sie plündern wollen, und sie brauchen dafür ein starkes Wir-Gefühl. Ein Nationalgefühl im heutigen Sinne gab es bei den Griechen noch nicht und Iphigenie hilft mit, es entstehen zu lassen.

Jugendliche verwenden heute das Wort Opfer als Schimpfwort. Ist das ein Zeichen von Verrohung?
Katharina Klar: Opfer ist auf jeden Fall abwertend gemeint. Dabei beweist Iphigenie in Wahrheit irrsinnigen Mut, sie erkennt ihre Opferung an, bejaht sie und befreit sich dadurch aus der Opfer- Logik. Das Besondere ist, es ist eine junge Frau, die hier agiert.

Sie benimmt sich aber eher wie ein Mann.
Katharina Klar: Total. Aber weil sie eine Frau ist, wird einem umso mehr bewusst, was für ein Wahnsinn in dieser Logik von Tapferkeit liegt. Man überwindet Angst und Schmerz zugunsten einer größeren Idee. Man tötet oder zieht in den Krieg, für eine Nation.

Was würden Sie denn in Iphigenies Lage machen?
Katharina Klar: Keine Ahnung. Ich möchte jedenfalls keine Nationalheldin sein. Iphigenies Situation ist tragisch, ausweglos und ich bin froh, dass ich wohl eher nicht in eine solche Lage gerate.

Aber auch heute müssen viele schwere Entscheidungen treffen: Flüchten oder Bleiben? Für viele bedeutet beides den Tod.
Katharina Klar:
Jeder, der flüchtet, sieht für sich keine andere Möglichkeit, sonst würde man so einen Weg nicht einschlagen. Europa darf sich nicht abschotten. Man sollte sich um die Fluchtursachen kümmern. Auf keinen Fall sollte man das Thema Flüchtlinge politisch instrumentalisieren, wie es leider geschieht.

„Iphigenie“ wird mit einem Stück von Stefano Massini kombiniert: In „Occident Express“ geht es um eine betagte Irakerin, die mit ihrer Enkelin unter abenteuerlichen Umständen in den Westen flieht, eine wahre Geschichte. Wie sind Sie auf diese Kombination gekommen, Frau Badora?
Anna Badora: „Iphigenie“ spielt vor dem Krieg, das Stück schildert, wie ein Krieg entsteht, „Occident“ spielt danach und zeigt seine Folgen. Dazwischen liegen 2000 Jahre, in denen sich scheinbar nichts geändert hat. Die alte Irakerin, Haifa, ist eine Art von weiblicher Odysseus. Beide Schilderungen erfahren durch ihre Überhöhung eine große poetische Kraft.

Auch Sie haben eine Art Flüchtlingsschicksal erlebt.
Anna Badora: Ich war kein Flüchtling. Es wäre anmaßend, meine damalige Situation mit der der heutigen Flüchtlinge zu vergleichen. Aber an das berauschende Gefühl von damals, den Eisernen Vorhang zu durchbrechen und an die vorwärts treibende Hoffnung, anders leben zu können, erinnere ich mich genau.

Wie war es, als Sie nach Österreich kamen?
Anna Badora:
Ich wollte Polen eigentlich nicht für immer verlassen, ich wollte nur Österreich, Deutschland und den Westen kennenlernen, hier studieren. Ich fuhr in Krakau vom Bahnhof ab und ich sehe noch heute meine Mutter, wie sie mit dem Zug mitlief und weinte. Sie war fest überzeugt, mich niemals wiederzusehen, denn den Eisernen Vorhang zu durchstoßen, das war Ende der Siebziger wie eine Reise zum Mars. Ohne Wiederkehr. Unvorstellbar.

Wie geht’s dem Volkstheater, das eine schwierige Phase der Neuorientierung erlebt, nicht nur Abonnenten flüchten.
Anna Badora:
Ja. Aber man muss auch wissen, dass sich rund um die Produktionen von international renommierten Regisseurinnen und Regisseuren wie Yael Ronen oder Victor Bodo regelrechte Fanclubs gebildet haben, „Nathan der Weise“ in der Regie von Nikolaus Habjan zieht viele junge Leute muslimischen Glaubens an. Wir wollen politisch und gesellschaftlich relevantes Theater machen und damit der Tradition des Wiener Volkstheaters gerecht werden. Denken Sie an die Arbeit früherer Direktoren, wie Leon Epp, Gustav Manker, Paul Blaha oder Emmy Werner, für die das Volkstheater immer eine kritische, sozialkritische Bühne war.

Tipp

„Iphigenie in Aulis“, „Occident Express“, beide Stücke hintereinander haben am 8. 9. Premiere im Volkstheater. Mit Henriette Thimig, Rainer Galke.

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