Rabenhof-Theater: Wilde Hirschjagd in „Mayerling“

(C) Ingo Pertramer/Rabenhof
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Ein simples Singspiel Ernst Moldens, zügig inszeniert von Thomas Gratzer, wurde kräftig bejubelt. Die melancholische Musik ist auch tatsächlich mitreißend.

Ein Fluch lag über der Premiere von „Mayerling“ am Mittwoch im Wiener Rabenhof: Bei geschlossenem Vorhang war zu Beginn bereits der erste Effekt zu hören, ein gewaltiger Baum schien umgefallen zu sein. Doch dann passierte eine Weile gar nichts – bis schließlich Theaterdirektor Thomas Gratzer, der das Singspiel von Ernst Molden inszenierte, vors Publikum trat und sich für technische Probleme entschuldigte sowie als Ersatz fürs Warten Erfrischungen anbot. Mit 40 Minuten Verspätung ging es dann endlich los. Noch einmal fiel ein Baum krachend um. Der Vorhang öffnete sich: Gudrun Kampl hat einen massiven Hochwald auf die Bühne gestellt. Zwischen fahlen Stämmen kann man hinten Molden mit seiner Band als grelle Schattenrisse auf einer Leinwand sehen. Und vor allem hören.

Die Nonne gerät unter Unholde

Die simple Handlung: Ein Fluch liegt über dem Wald von Mayerling, nah dem Schloss, wo der Habsburger Rudolf, Kronprinz von Österreich und Ungarn, 1889 sein erbärmliches Ende fand. War es Mord an der 17-jährigen Gespielin, Baroness Mary Vetsera, mit anschließendem Selbstmord eines Depressiven – oder doch ein finsteres Komplott?

Darüber mögen Historiker streiten, bei Molden agiert Rudolf (Manuel Ruby) jedenfalls als untoter Unhold, der den Wilderer Horstl Tiefgruber (Gerald Votava) durch gespenstische Einflüsterung dazu bringen will, den weißen Hubertus-Hirsch zu schießen, damit er endlich Ruhe finde. Der Wilderer ist auf der Flucht vor dem Förster Helmuth (Christoph Krutzler) und vor Polizeimajorin Mimi Sommer (Michou Friesz) samt Einsatzkommando. Ein Amoklauf vor einigen Jahren bei Annaberg dient als Vorbild. Tiefgruber kidnappt eine Nonne, Schwester Apollonia (Eva Maria Marold), die in dieser Schicksalnacht eine entscheidende Rolle spielt. Das sagenhafte Geschehen, zügig in einer Stunde abgespult, ist nur ein dürftig-durchsichtiges Gespinst für den Liederkranz dieses Musikdramas – des dritten nach Moldens bisherigen Singspielen „Häuserl am Oasch“ 2010 und „Hafen Wien“ 2014.

Der Teufel wartet am Kreisverkehr

Die Songs sind unterhaltsam, meist tief verwurzelt im Blues, manchmal auch in Folk oder Rock und gelegentlich gibt es ausgelassene, raffinierte Gitarrensoli. Ist das wirklich alles live? Die Schauspieler sind es auf jeden Fall. Sie versuchen, als Sänger, mit diesem Background-Dampf tapfer mitzuhalten. Recht bleich wirkt Rubey, er steigert sich allerdings gewaltig mit Votava im Duett über den Teufel „am Kreisverkehr“. Marold und Friesz dagegen sind von Anfang an schrill, ekstatisch die eine, brutal die andere, wie es ihre Rollen eben verlangen. Höchst ironisch wirken die Auftritte von Krutzler, der als nächtlich durchs Revier pirschender, einfältiger Förster von der Majorin herumkommandiert wird. Er beschwört den Mond, greift zur Steigerung der Melancholie dann und wann zum Fotzhobel. Wanderer, wisse: Durch solche Forste streifen gewiss nicht nur der wilde Horst und der tolle Prinz, sondern auch wütende Werwölfe! Krutzler harmoniert samt Mundharmonika mit der sechsköpfigen Combo, als ob er schon immer dazugehörte. „Mayerling“ ist dem 2016 verstorbenen Theaterurgestein Heribert Sasse gewidmet. Es hätte ihn wohl sehr gefreut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2017)

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