Berlin: Kunstkollektiv "Staub zu Glitzer" hält Volksbühne besetzt

Ein handfester Protest gegen Gentrifizierung sowie die Kultur- und Stadtpolitik an sich: Die Gruppe „Staub zu Glitzer“ hält die Berliner Volksbühne besetzt.
Ein handfester Protest gegen Gentrifizierung sowie die Kultur- und Stadtpolitik an sich: Die Gruppe „Staub zu Glitzer“ hält die Berliner Volksbühne besetzt. (c) imago/Votos-Roland Owsnitzki
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Dem neuen Intendanten der renommierten Bühne wird der Start denkbar schwer gemacht: Er steht vor einem besetzten Haus. Protestiert wird (auch) gegen die Kultur- und Stadtpolitik an sich.

Stegreiftheater in der deutschen Bundeshauptstadt: Seit dem Wochenende halten Aktivisten die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz im Osten Berlins besetzt. Erste Proben für die Ende November vorgesehene Uraufführung von Susanne Kennedys „Women in Trouble“ mussten bereits abgesagt werden. Ein Transparent – „Doch Kunst“ – prangt an den Säulen des 1913/14 erbauten Hauses, das in der DDR zu den wichtigsten Bühnen des Landes zählte, nach der Wende, ab 1992, bis zum Ende der abgelaufenen Saison von Frank Castorf oft spektakulär, manchmal provokant und insgesamt enorm einfallsreich geleitet wurde.

Vielleicht gefällt dem links orientierten Theatermacher der neueste Aktivismus des Kunstkollektivs „Staub zu Glitzer“, das seit Freitag dem Protest gegen eine „Politik der Gentrifizierung“ in dieser offenbar recht gut geplanten Hausbesetzung handfesten Ausdruck verliehen hat. Friedlich soll sie sein, und solidarisch mit den Mitarbeitern, schrieb Wolfgang Huber-Lang von der APA bei einem ersten Lokalaugenschein. Die Versammlung erinnere an einstige Protestbewegungen, sie sei etwas chaotisch, „nicht theatertauglich, doch kabarettreif“. Für drei Monate sei die Aktion geplant, hieß es von dem Kunstkollektiv. Oder für zwei Jahre. Allerdings ist die Zahl der Mitwirkenden inzwischen von Hunderten auf Dutzende geschrumpft.

Reinsperger wird am BE gefeiert

Der Angriff der Volksbühnenbesetzer gilt Castorfs Nachfolger, Chris Dercon – von Beruf Kurator, Theaterwissenschaftler und zuletzt erfolgreicher Leiter der Tate Gallery for Modern Art in London. Seit im Frühjahr 2015 feststand, dass der inzwischen 66-jährige Castorf gehen musste und der 59-jährige Belgier von der linken Regierung in Berlin installiert wurde, insbesondere durch den umstrittenen Kulturstaatssekretär Tim Renner protegiert, tobte ein Kulturkampf um das Theater. Der Streit wurde nicht nur von Castorf und seiner berühmten Schauspieltruppe befeuert, sondern auch vom mit ihr solidarischen Claus Peymann (* 1937), der am Berliner Ensemble in diesem Jahr ebenfalls einem jüngeren Intendanten weichen musste. Den „netten“ Museumschef qualifiziere für die Leitung eines Theaters gar nichts, sagte er dem Wochenblatt „Die Zeit“. Namhafte Intendanten befürchteten in offenen Briefen die Demontage eines der besten Theater Deutschlands. Die Angst vor der Machtübernahme durch Kuratoren ging um. In Feuilletons wurden die oft sehr persönlich wirkenden Fehden weit über die Stadt hinausgetragen. (Eine ausführliche „Chronik des Berliner Theaterstreits“ von 2015 steht auf nachtkritik.de).

Monatelang gab es bühnenreife Polemiken. Peymann etwa, Langzeitchef in Wien am Burgtheater und dann in Berlin am Schiffbauerdamm, griff seinen Nachfolger frontal an: Oliver Reese (* 1964), der zuvor immerhin seit 2009 das Schauspiel Frankfurt geleitet hatte, wolle das BE zerstören. Den SPD-Politiker Renner (der Ende 2016 nach Bildung einer rot-rot-grünen Koalition aus dem Dienst entlassen wurde) nannte Peymann eine kulturpolitische Katastrophe, er schloss den regierenden Bürgermeister und den Kultursenator gleich mit ein.

Doch Reeses dichtes Programm zur Saisoneröffnung, mit spannenden neuen Schauspielern, findet großen Anklang. Am Samstag etwa wurde Stefanie Reinsperger, die von Wien nach Berlin wechselte, für ihr Debüt in Michael Thalheimers Inszenierung von Bertolt Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ am BE gefeiert. Champions League, eine Naturgewalt, schmachteten manche Kritiker nach der dritten BE-Premiere unter Reese in drei Tagen. Und Anfang Dezember wird Reinsperger in einer Dramatisierung von Victor Hugos Roman „Les Misérables“ mitwirken. Regie führt – Frank Castorf.

Denkmalschutz für tyrannische Linke

Dieser hat offenbar eine tolle neue Plattform gefunden, während Nachfolger Dercon an der Volksbühne mit einem besetzten Haus kämpfen muss. Es wird inzwischen bereits mit der „transmedialen Theaterinszenierung – B61-12“ verhandelt. Der Hausherr forderte Kultursenator Klaus Lederer auf, für Recht und Ordnung zu sorgen. Dieser aber sperrt sich gegen eine Räumung. Ruhrtriennale-Chef Johan Simons sprang Dercon bei. Man sollte besser das Rathaus als die Volksbühne besetzen. Schelte gab es im „Tagesspiegel“ für Lederer. Er nehme sich für die Besetzer mehr Zeit als für manchen Intendanten. Von der Tageszeitung „Die Welt“ hingegen wurde nach einem „Revolutionsbesuch“ am Rosa-Luxemburg-Platz folgende „Synthese des Weltgeistes“ herbeigesehnt: „dass dem tyrannischen Linken Castorf und dem frauenverstehenden Neoliberalen Dercon ein feministisch-queer-hierarchiefrei-anarchistisches Kollektiv“ nachfolge. Immerhin beanspruche dort der dialektische Materialismus Denkmalschutz.

Speziell die konservative „Welt“ geht mit dem Neuen seit geraumer Zeit nicht besonders zimperlich um. Der Weltgeist retrospektiver Ostalgie hat sie bereits vor zweieinhalb Jahren erfasst. Da hieß es in Richtung Dercon: „Wenn die Hauptstadt irgendwas nicht dringend braucht, ist es noch eine weitere Bühne, auf der einbeinige albanische Transgender-Performer die Verbrechen der Deutschen im Hererokrieg nachtanzen. Die Volksbühne ist nicht weltberühmt geworden, weil dort gesungen und getanzt wurde, sondern, weil Sophie Rois, Henry Hübchen und Martin Wuttke dort in fünfstündigen Dostojewski-Aufführungen von Castorf spielten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2017)

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