„Ich glaube“ als Kampfansage an allerlei Religion

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Symbolbild. (c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Gesellschaftskritik mit Charme: Das Vorarlberger Aktionstheater macht in Wien ein multikulturelles Statement.

Amüsanter Besuch im Meidlinger Werk X aus dem fernen Westen: Martin Grubers tolle Truppe ist mit dem im Juni in Bregenz uraufgeführten „Ich glaube“ diese Woche in Wien zu sehen, beinahe tagesaktuell aufgefrischt, etwa um den neuen Literaturnobelpreisträger und politische Anspielungen. Das Improvisieren liegt dem Aktionstheater Ensemble, das im Vorjahr einen Nestroy-Preis erhalten hat.

Auch ihr heuriges Stück überzeugt in seiner leichtgängigen, stets spannenden Art. Als Bühnenbild genügen ein Sofa und eine Tonne, als Requisiten ein paar Regenschirme, eine Federboa, eine Wasserpistole, die für ein Massaker mit Kunstblut gebraucht wird, und Engelsflügel. 70 Minuten dauert das rasante Stück, dennoch gelingt es Susanne Brandt, Alev Irmak, Martin Hemmer, Claudia Kottal und Benjamin Vanyek, allerlei Spielarten von Religion und Sektenwesen mit Ironie und manchmal sogar mit Tiefgang aufzuspießen. Da legt zu Beginn eine Muslimin auf Türkisch mit einem Wortschwall los, der wie eine generelle Verwünschung klingt. Die Enkelin einer strenggläubigen polnischen Katholikin steht ihr in Aggression kaum nach. Auch die Protestantin mit Resten an Reformeifer nährt Manipulationsverdacht, nicht einmal der nüchterne Atheist bleibt vorurteilsfrei: Der Kapitalismus ist an allem schuld. Nur ein Engel, der mit Zaubertricks entzückt, scheint etwas Unschuld zu bewahren.

„Ich hab' die Liebe geseh'n . . .“

Glauben, das kann man hier auch an Yoga, an Scientology oder an die Macht der Schnulze. Mireille Matthieu wird zitiert, sogar die Jungfrau Maria als Schutzpatronin Bayerns – und Vicky Leandros: „Ich hab' die Liebe geseh'n . . .“ Ja, Amor könnte ein Retter sein. Um die Liebe in ihrer Vielfalt und um die Sehnsucht nach dem echten Leben geht es zwischen all den Frustrationen des Alltags. Das Scheitern an der Routine hat bei manchen Figuren ein verräterisches Muster. Kristian Mussers Arrangements (er wird von Kirill Goncharov auf der Geige und Jean Philipp Viol auf der Bratsche begleitet) tragen erheblich zum Witz dieser sich naiv gebenden, raffinierten Aufführung bei. Heftiger Applaus bei der Premiere – und ausverkaufte Vorstellungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2017)

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