Rabenhof: Das Wutdrama des kleinen weißen Mannes

Martin Max Offenhuber, Franz Wenzl, Sibylle Berg, Klaus Mitter und Lelo Brossmann.
Martin Max Offenhuber, Franz Wenzl, Sibylle Berg, Klaus Mitter und Lelo Brossmann.(c) Ingo Pertramer / Rabenhof
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„Viel gut essen“ von Sibylle Berg mit der Band Kreisky im Rabenhof: eine virtuose Verunsicherung.

„Wer bin denn eigentlich ich?“, fragt Franz Adrian Wenzl anfangs, sein letzter Satz ist: „Ich habe Angst.“ Dazwischen spielt er so empathisch wie gnadenlos das Drama der Hauptperson so vieler soziopolitischer Analysen von heute: des kleinen weißen Mannes, der immer strebend sich bemüht, aber nicht erlöst wird, sondern zum Wutbürger. Er liebe „The Final Countdown“ von Europe, erzählt er zu Beginn; am Ende, nachdem klar geworden ist, dass er Arbeit und Wohnung verloren hat, dass ihn Frau und Sohn verlassen haben, dass er vergeblich für sie kocht, skandiert er: „Wir sind das Volk. Das wird man doch noch sagen dürfen.“

Im Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“, mit der auf Wut und Grant spezialisierten Band Kreisky (deren Sänger Wenzl ist) virtuos ins Wienerische übertragen, wird dieser geplagte, bedrängte Mann nicht – wie von rechtspopulistischen Parteien – verherrlicht, auch nicht – wie im Agitprop-Kabarett alter Schule – als grundbrutaler faschistoider Kleinbürger „entlarvt“. Es kommt auch nicht – wie in so manchem modernen linken Kabarett – die versöhnliche Lösung, dass eben alle getrieben seien und der Neoliberalismus an allem schuld sei.

Nein, so einfach macht es einem diese Aufführung nicht. Ihr Antiheld ist so sympathisch wie unsympathisch, so tragisch wie komisch. Er ist kein Monster, auch kein Herr Karl. Es wird nicht unterstellt, dass der Verlust an Heimat, den er spürt, nur paranoid sei. Man versteht seinen Zorn auf die Gentrifizierung, seine Verbitterung über selbstgerechte Correctness, sogar seinen Hass auf die Fremden, die seiner Frau nachgepfiffen und seinen Sohn verprügelt haben. Natürlich, der Ekel, den er in den Augen der „Rotten von traditionsbewussten jungen Männern“ zu sehen meint, kommt aus ihm selbst. Aber wie ist er dort hineingekommen? In diese Leere, die in ihm gähnt? Keine Antwort. „Ich bin nicht zynisch“, sagt er, „die Welt ist es. Das Leben ist ein Zyniker.“

Begleitet wird sein Sermon von einem rhythmisch perfekten Chor, der ihn bald bestärkt, bald verunsichert, und von der wunderbaren Band Kreisky. Sie spielt Punk im besten Sinn. Ein schroffer, harter, bestürzender Abend. Im Rabenhof ist wieder einmal ein Coup gelungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2017)

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