"Quai West": Elend auf der Staatsbühne

Quai West
Quai West(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Andrea Breth inszeniert "Quai West", ein hellsichtiges Stück von Bernard-Marie Koltès: Feine Feierstunde für Freunde der luxuriösen Opulenz. Das Stück ist im Burgtheater zu sehr zum edlen Hörspiel geraten.

Fad und düster, das Image bei ihren Feinden wird Andrea Breth nicht mehr los. Die große Frau unter den inzwischen allmählich ins Greisenalter gleitenden Regieherren der Post-Sixties, hat aber auch viele Fans, die keine Breth-Aufführung auslassen. Herzlicher Applaus, der verhalten anhob, aber dafür ein schönes Weilchen dauerte, ertönte Samstag nach der Premiere von Bernard-Marie Koltès' „Quai West“. Koltès: Offizierssohn aus Metz mit hoher Affinität zu Arabern und Schwarzen, die von den Franzosen brutal kolonial misshandelt wurden; Weltenbummler, homosexuell, an Aids verstorben mit 41Jahren. Er war wohl ein Selbstverschwender in einer Zeit, als dies noch weniger verpönt war als heute. In den Programmhefttexten zeigt sich ein sanfter, poetischer, neugieriger Mensch, der Gott, Tod und den Teufel nicht fürchtete.

„Quai West“ stammt aus den Achtzigern. Keine Handys, keine Globalisierung, „War on Terror“ noch fern. Der Film Wall Streetkam 1987: Michael Douglas spielte einen bösen Börsenhai. Dass diese Typen dort rudelweise und kapitalvernichtend umgehen, war nicht so klar. So gesehen ist „Quai West“ ein prophetisches Werk. Der reiche Mann, der die Hauptrolle spielt, ist auch ein Opfer: Alle drängen ihm ihr Geld auf, hoffen, dass er es vermehrt. Sogar Nonnen stecken ihm ihre Ersparnisse zu. Eigentlich ein herrlich perfider Spaß. Die Immigranten im Stück sind nicht bloß arme Hunde, sie haben eine reiche Geschichte, die sie immer neu und anders erzählen – und sie sind Täter, oft schneller, schlauer als die Einheimischen.

Auf den ersten Blick ist „Quai West“ ähnlich wie „Motortown“ von Simon Stephens, das Breth zuletzt im Akademietheater herausgebracht hat. Stephens mag aktueller sein, Koltès hat mehr Fantasie, rhetorische Eleganz. Allerdings muss man bei Stephens nicht scharf aufpassen, um ihn zu kapieren.

Koltès ist einer dieser gallischen Schwätzer, die sozusagen jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachen, von Hölzchen auf Stöckchen kommen, also kein Ende finden können. Koltès wollte zwar, dass man seine Texte schnell spricht, wie ein Kind, das noch schnell was anbringen will, bevor es aufs Klo flüchtet, aber in der Praxis hat das keinen Sinn. Denn dann versteht man die Wortkaskaden nicht mehr. Breth wählte einen Mittelweg. Vor allem in der ersten Stunde zieht sich die Aufführung in die Länge. Auch danach gibt es peinigende Passagen schierer Langeweile. Verwunderlich, bei den Schauspielern. Aber auch die Breth-Mimen bleiben nicht ewig frisch. Sie haben Mühe sich durchzusetzen im grau-schwarzen Ambiente der imposanten Halle am New Yorker Hafen, die Bühnenbildner Erich Wonder auf die Szene gehievt hat – mit allen Schikanen, versteht sich: blindes Glas, monumentale Wand, Pflastersteine. Die Röhre, die schon in Breths „Kirschgarten“-Inszenierung eine Rolle gespielt hat, passt auch hier – als Symbol für die Verschlingung des Ich.

Anspielen gegen die Dunkelheit

Übrigens ist es nicht die ganze Zeit dunkel, wie im Vorfeld gemunkelt wurde. Immer wieder geht das Licht aus – und wieder an. Die Infrastruktur an diesem Ort funktioniert nicht: kaum Wasser, wenig Elektrizität. So steht es im Stück. Wie überhaupt nichts fehlt, alles ist genauestens ausgeführt. Und trotzdem stimmt es nicht so richtig. Wieso?

Wer darüber ernsthaft nachdenken möchte, der mag sich Filme wie About Schmidtmit Jack Nicholson oder 8 Mile mit Eminem und Kim Basinger ansehen. Das Milieu ist unecht. Auch der größte Burgschauspieler kann nicht alles erspielen. Am schlimmsten hat es Elisabeth Orth getroffen: Eine betagte Dame mit wohltönendem Burgtheater-Melos als Exhure und Mutter einer minderjährigen Tochter, das geht gar nicht. Auch wenn die minderjährige Tochter (Merle Wasmuth) nicht minderjährig ist. Sven-Eric Bechtolf hat alle Varianten seines herrlichen Zynismus vorgeführt. Als wohlhabender Maurice Koch hüpft er gekonnt auf einem Bein über die Bühne, hat aber bis auf den eindrucksvollen Showdown am Schluss nicht viel Neues anzubieten. Andrea Clausen erscheint für Kochs Gefährtin Monique zu wenig brutal und abgedreht. Auch Philipp Hauß ist ein zu sanftes Büblein für den Charles, Rausschmeißer in einem Nachtclub am Hafen.

Hans-Michael Rehberg bleibt undeutlich als schwer versehrter Veteran Rodolfo und klammert sich deklamierend an seinen Sätzen fest. In dieser Figur scheint der Algerien-Krieg abgebildet zu sein. Nicholas Ofczarek spielt mit lässiger Gemeinheit den Kleinkriminellen Fak, der das Zeug zum großen hat. Abad (arabisch: Ewigkeit) ist der große Schweiger in diesem Stück: Der Schwarze Maynard Eziashi schafft mehr authentische Atmosphäre als alle anderen zusammen: Er ist einfach. Die anderen tun.

Trotzdem gibt es einige hinreißende, auch komische Szenen: Wenn etwa Monique sich auf den verblüfften Charles wirft, in purem Opportunismus, um ihm die Autoschlüssel des Jaguar abzuluchsen. Maurice liegt nach einem Selbstmordversuch mit einem Knöchelbruch am Boden und schaut zu. Später taucht Monique mit Fak auf. Ihn hat sie offenbar auf die gleiche Weise wie Charles, aber mit mehr Lust versucht als Fluchthelfer zu gewinnen. Monique liebt Maurice, er kriegt es nicht mit, verachtet sie.

Exakt, aber zu brav: Das Ensemble

Es ist heute nur mehr schwer vorstellbar, wie rätselhaft und genial Koltès einst auf deutschen Bühnen gewirkt hat. Speziell bei einem Festwochen-Gastspiel in Wien, als sein Freund Patrice Chéreau ihn interpretiert hat. Heute sind die literarischen Bezüge deutlicher: Beckett, Genet, Faulkner, Joseph Conrad. Die fluktuierenden Biografien der Figuren hat Koltès wohl spontan entwickelt. Heutige Autoren nützen diese Technik oft, so neu wie damals wirkt sie nicht mehr.

Aktuell bleibt das Stück allemal. Aber im Burgtheater ist es zu sehr zum edlen Hörspiel geraten. Das von Koltès geschilderte Elend, das wie eine Krankheit um sich greift, weder Arm noch Reich verschont, unter einem gottlosen Himmel, in einer Welt, in der nur Arbeit und Geld zählen, gerinnt hier teilweise zur hohlen Kunst.

KOLTÈs (1948–1989) In WIEN

Der französische Dramatiker Bernard-Marie Koltès wurde seinerzeit an Wiener Off-Bühnen vorgestellt. Besonders erinnerlich ist das Mörderdrama „Roberto Zucco“. Es war im Schauspielhaus unter Hans Gratzer zu sehen, im Akademietheater in der Regie von Klaus Michael Grüber. Auch Koltès bekanntestes Werk „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ wurde in Wien gezeigt – und von Chéreau verfilmt. Dessen deklamatorische Methode für Koltès wurde auch kritisiert. „Quai West“ war ein Auftragswerk der Comédie Française. Deutsche Erstaufführung: 1986, Bochum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2010)

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