Berliner Volksbühne: Ersan Mondtag fordert Rücktritt des Bürgermeisters

Die Auslastung des Theaters liegt bei den wenigen reinen Eigenproduktionen nach aktuellem Stand im Schnitt bei unter 50 Prozent, berichten deutsche Medien.
Die Auslastung des Theaters liegt bei den wenigen reinen Eigenproduktionen nach aktuellem Stand im Schnitt bei unter 50 Prozent, berichten deutsche Medien.imago/Rolf Zöllner
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Regisseur Mondtag fordert nach dem abrupten Abgang von Intendant Chris Dercon "unbedingt eine Flucht nach vorne". Dercon sei das größte Opfer eines politischen Skandals.

Ersan Mondtag, für viele einer der spannendsten Regisseure der jüngeren Generation und schon zweimal mit Arbeiten zum Berliner Theatertreffen eingeladen, stünde für die verwaiste Volksbühne "selbstverständlich" zur Verfügung. "Ich wäre aber auch bereit, andere geeignetere Kandidaten zu unterstützen", sagt er. "Hauptsache kein Rollback zu alt-etablierten Theatergrößen."

Für den 1987 in Berlin geborenen Theatermann, der bei der Suche nach einer neuen Leitung zur besonderen Berücksichtigung osteuropäischer und weiblicher Kandidaten rät, ist der Rücktritt von Chris Dercon "der logische Schritt nach einer Fehlgeburt. Man kann das tote Kind nicht im Leibe lassen, sonst zerstört es den ganzen Körper." Dabei sei der von der Tate Modern geholte Kunstmanager ohne Theatererfahrung "das größte Opfer" eines "politischen Skandals". Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der die Bestellung Dercons zu verantworten habe, müsse "die Konsequenzen ziehen und zurücktreten", fordert Mondtag.

"Bitte nicht eines dieser Durchreise-Katalogtheater"

"Die Volksbühne wird gestärkt aus der Situation hervorgehen, da bin ich mir sicher. In einer Stadt, in der Milliarden in den Sand gesetzt werden für einen Flughafen, wird man ein, zwei Millionen auch für ein Theater aufbringen können. Es gefällt mir auch nicht, mit was für einer Drastik die Situation besprochen wird. Entspannen wir uns alle jetzt für einen kurzen Moment", meint der Regisseur, der mit seiner Hamburger "Orestie" bei den Wiener Festwochen gastieren wird.

"Erst muss die Frage gestellt werden, was für ein Theater wir dort in der Mitte der Stadt überhaupt brauchen. Bitte nicht wieder eines dieser Durchreise-Katalogtheater, die alle denselben belanglosen Scheiß reproduzieren. Dafür ist die Situation viel zu wertvoll. In diesem Sinne, unbedingt eine Flucht nach vorne", so Ersan Mondtag, der auch dazu rät, "Frank Castorf mit einzubeziehen. Der Typ ist ja nicht blöd."

"Zentrum des Widerstands gegen den neuen Faschismus"

Castorf habe nach der Wende die Volksbühne zu einem spannenden politischen Ort gemacht. "Darauf könnte man aufbauen, denn wir sind wieder in einer Umbruchphase. In einer Zeit, in der in ganz Europa ein politischer Umbruch herrscht in eine neue, rechtsgerichtete Welt, könnte man an diesem Ort rund um Schlüsselfiguren des Theaters und der Literatur ein großes, intellektuelles Zentrum des Widerstands gegen den neuen Faschismus bauen. Das wäre eine gute Aufgabe, da hätte ich große Lust darauf", sagt der Regisseur, der vor wenigen Tagen in Basel mit dem Stück "Kaspar Hauser und Söhne" Premiere feierte und am 8. Juni am Schauspiel Köln "Wonderland Ave." von Sibylle Berg zur Uraufführung bringen wird.

Die meisten Theater seien jedoch "in ihrer Belanglosigkeit heute entkoppelt von dieser politischen Realität. Eigentlich müsste man sagen: Jetzt reicht's! Jetzt muss man ganz laut sein auf der Bühne! Doch die Theater versuchen derzeit bloß alle, ihr Abo-Publikum zu halten. Das stirbt aber gerade aus - wie das ganze Bürgertum ausstirbt", wettert Mondtag.

Deswegen sei es "ein fatales Signal der Münchner Kulturpolitik, zu sagen, wir verzichten auf Matthias Lilienthal. Das ist ein Skandal und eine extrem vertane Chance. In 20, 30 Jahren wird es das Bürgertum nicht mehr geben. Die Leute werden nicht mehr wissen, was 'Kabale und Liebe' von Schiller ist, weil es einen ganz anderen Kultur-Codex geben wird. Es wäre ein visionärer Vorgang, das jetzt zu erkennen und daran zu arbeiten. Wenn wir die Theater als Kommunikationsorte erhalten wollen, müssen wir längerfristig mitdenken, dass sich eine neue, viel diversere Mitte aufbaut. Die muss man aber jetzt schon ans Theater binden. Sonst hat man einmal kein Theater mehr."

(APA)

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