Dichter schreiben an den Burgtheaterdirektor

Lieber Peymann Grossfuerst Schnuerboeden
Lieber Peymann Grossfuerst Schnuerboeden(c) APA (SCHNARR Ulrich)
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Thomas Bernhard sieht "dilettantischen Schwachsinn" im Haus am Ring, Peter Turrini erteilt eine Österreich-Lektion, Elfriede Jelinek empfiehlt einen Regisseur, ...

Der Staatsschauspieler Bruscon in Thomas Bernhards Komödie „Der Theatermacher“ spricht es aus: „Das Gewesene, das fortwährende Gewesene...“ – Wer erinnert sich dabei nicht liebevoll an den großen Schauspieler und Theatermacher Traugott Buhre –

Dieser Satz ist eine Art Weltformel für Österreich und könnte auch Motto für die hier versammelten Schriftstellerbriefe sein. Aus den Briefen von Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard, Peter Handke, Christoph Ransmayr und Peter Turrini an mich, den Burgtheaterdirektor der Jahre 1986 bis 1999, spricht buchstäblich die fortwährende Auseinandersetzung mit ihrer Heimat, mit Österreich. Das Gewesene, das immer wieder aus allen Ritzen und Löchern Österreichs quillt, ist Thema dieser Briefe: Elfriede Jelinek reagiert auf die Diffamierungen durch Wahlplakate der ewig gestrigen FPÖ und auf den ewig dumpfen Zeitungsboulevard und will ihr Theaterstück „Stecken, Stab und Stangl“ partout nicht in Österreich uraufführen lassen. Später aber ist sie vehement für Einar Schleef als Regisseur, der mit ihrem „Sportstück“ einen legendären Burgtheatertriumph erringen wird.

Mit den österreichischen Zeitungen (wie den deutschen) hat auch Peter Handke erschreckende Erfahrungen machen müssen. War Thomas Bernhard „Nestbeschmutzer“, so wird Peter Handke wiederum als unbelehrbar blind beschimpft, weil er nicht dem politischen Mainstream folgt und auch den gehässigsten Anfeindungen zu trotzen vermag. Sein Brief liest sich wie der Befund einer verdrehten politischen Kultur. Eine Freude auch Turrinis Zuruf an den damaligen Burgtheaterdirektor zu dessen offenem Brief an „Die Presse“, insbesondere an den damaligen Theaterkritiker Dr. Hans Haider. Eben dieser Haider, der aus seinem Ressentiment stets Kritik mit grotesken Unterstellungen und Vermutungen verwechselte. So war für ihn zum Beispiel eine angeblich von mir auf den „Sturm“-Proben umgebrachte Schlange das Objekt seiner absurden Begierde. Für den Kärntner Peter Turrini Freude und Anlass zu einer kleinen, sehr österreichischen Geschichtslektion an den Piefke Peymann. Ebenso heiter Turrinis Plädoyer für das andere Österreich anlässlich seines Theaterstücks „Ich liebe dieses Land“, uraufgeführt im „Berliner Ensemble“ und in Klagenfurt später triumphal gefeiert.

Ich bin dankbar und stolz, dass all diese Dichter, die für ihr Land alles andere empfinden als Gleichgültigkeit – die ja bekanntlich tödlich ist –, dass diese Dichter für das Burgtheater in meiner Direktion geschrieben haben. Trotz aller Anfeindungen konnten durch ihre Stücke auf der Bühne der Burg Worte gesprochen werden, die sonst niemand auszusprechen wagte. (Übrigens bekommen die Theater ausschließlich dafür ihre Subventionen! Nur in Diktaturen gibt es Subventionen fürs Maulhalten!) Die Texte dieser Autoren entwarfen, nicht vorsätzlich oder geplant, einen großen Theaterkosmos – einmalig in der Geschichte der Burg, des Nationaltheaters Österreichs. Ja, es könnte reizvoll sein, die Geschichte des Burgtheaters nur mit Schriftstellerbriefen zu erzählen. Es könnte auch eine Geschichte über das fortwährende Gewesene werden . . .

Die vielleicht engste Beziehung war zugleich die sachlichste – so paradox dies klingen mag. Thomas Bernhard war in seinen Briefen rückhaltlos offen: überwältigend offen in seiner herzlichen Liebe, gnadenlos offen in seiner vernichtenden Kritik. In Bernhards Briefen ist das Gewesene für mich immer noch unmittelbare Gegenwart.

Thomas Bernhard

Thomas Bernhard, Kreta, 26.November 1979.
Lieber Peymann, Großfürst der Schnürböden,
ich schlage vor, daß wir uns Anfang des kommenden Jahres in den Bergen treffen, dort, wo wir uns vor bald einem Jahr getroffen haben, wenn wir wollen und noch am Leben sind.

Ich habe die schlimmste Landung mit einem Flugzeug hinter mir; jetzt, da das alles schon im Finstern liegt, finde ich diese Höllenfahrt auch schon recht interessant. Auf Biegen und Brechen hinunter auf Rhodos, im wahrsten Sinn des Wortes.

Wenn ich mit dem Stück („Später Ruhm“ heißt es!) nach Hause, und das heißt vor allem, von hier, wo die Startbahn viel zu kurz ist, wegkomme, danke ich Gott.

Herr Walter Scheel, der deutsche Präsident, ist in die sogenannte Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt worden, da bin ich ausgetreten.

Ich habe mich immer gefragt, was eine solche Akademie ist, und bin immer nur auf den Begriff Blödsinn gekommen. Jetzt hatte ich einen Anlaß zu verschwinden. Ich möchte in Zukunft möglichst nirgends mehr dabei sein und nur mehr noch bei mir sein. – Wann werde ich einmal nach Bochum kommen? Auf der Kruka gibt es jetzt ein Telefon. Sie können dort die Rehe und Füchse anrufen und ihnen eine gute Nacht wünschen.
Sehr Ihr Untertan
Thomas Bernhard
P. S. Haeusserman hat mich gefragt, ob ich in Salzburg wieder ein „Stück“ machen will. Wollen wir? Das Lokal, in dem ich ihn getroffen habe, heißt sinnigerweise „Zauberflöte“ (in Wien).

Thomas Bernhard, Funchal, 2. Dezember 1986.
Lieber Claus Peymann,
nach einem Tee im „Reids“ denke ich selbstverständlich mit größter Intensität, was mit uns in Zukunft zu geschehen hat! Was mache ich mit meiner Theaterarbeit? Bedenken Sie bitte, daß weder der „Theatermacher“ noch „Ritter, Dene, Voss“ verlorengehen sollen für immer, wenn die Stücke nicht „aufgezeichnet“ werden.

Während Sie an Ihrem „Richard“ arbeiten, gehe ich einen, wie immer grauenhaften Prosaweg, auf dem es die Prügel nur so hagelt, die ich mir selbst geworfen habe. Ich bin ab 19. in Wien oder Ohlsdorf erreichbar, Sie sollten sich unbedingt melden, wenn Sie mich nicht an den Rand der Verzweiflung bringen wollen.
Alle Umwege führen in den Tod,
Ihr Thomas Bernhard

Thomas Bernhard, Hotel Tivoli Sintra, Portugal, 1. Februar 1987.
Lieber Claus Peymann,
wenn diese Zeilen auf Ihren Tisch kommen, ist Ihre Schlacht geschlagen. Meine Wünsche sind die selbstverständlichen. Vor meiner Abreise hatten wir eine Unterredung, für die ich Ihnen wie ein Kind dankbar bin und die, wie ich glaube, unsere Beziehung als eine ideale deutlich gemacht hat. Diese Beziehung bezeichne ich als Glücksfall. Trotzdem ist mir aus dieser Unterredung ein Punkt in Erinnerung, der unglaublich ist: Ihre Ablehnung eines Gastspiels von Bernhard Minetti mit „Einfach kompliziert“ in Wien mit dem Argument, in „Einfach kompliziert“ sei alles enthalten, das Minetti schon einmal gemacht hat; gerade das war ja der Grund, „Einfach kompliziert“ zu schreiben, ein kurzes Stück für den bedeutendsten lebenden Schauspieler. Alles von Minetti bis zu seinem achtzigsten Geburtstag Gezeigte und genial auf die Bühne Gestellte zusammenzufassen für den ganz ohne Zweifel auch heute wichtigsten und bedeutendsten Schauspieler, Bühnengroßmeister. Daß Sie Minetti, ich sage es noch einmal, den einzigen wirklichen großen Theaterschauspieler dieser Epoche, die an großen Schauspielern, wie überhaupt an großem Theater wie an einer Jahrhundertschwindsucht leidet, nicht mit „Einfach kompliziert“ an die Burg eingeladen haben, empfinde ich als geradezu groteske Unsinnigkeit, gegen die für mich alles spricht.

Minetti wenigstens ein paar Tage an der Burg zu zeigen und mein Stück auch dahin zu bringen wäre meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit gewesen, selbst dann, wenn das Stück nichts wert wäre: gerade im Augenblick, wo an der Burg auch jetzt, ein halbes Jahr nach Ihrem Direktionsantritt, so viel dilettantischer Schwachsinn und so viel kopflose Überheblichkeit produziert und aufgeführt werden.

Ich wäre froh, wenn diese Zeilen so aufgenommen werden von Ihnen, wie ich es mir erhoffe, das ist mit großem Ernst und in Anbetracht einer für sich stabilen Freundschaft. Ich schreibe diese Zeilen mitten in einer größeren Arbeit aus Sorge um Ihr Wiener Ganzes und nicht aus einer Laune heraus mit dem Blick auf eine zweihundert Jahre alte Fassade, die Ihnen nicht unbekannt ist und die „Sieben Seufzer“ heißt. Unter diesen „Sieben Seufzern“ leide ich, wenn ich an Sie und an das Burgtheater in diesen Tagen denke.
Ihr Thomas Bernhard

Christoph Ransmayr

Christoph Ransmayr, Wien, 1. November 1989.
Sehr geehrter Herr Peymann,
über Ihren Brief habe ich mich sehr gefreut und danke Ihnen herzlich. Seltsam, ich kam eben vom Traunsee, war in Ungenach, in Ottnang und in Wolfsegg (auf diesen Straßen fahre ich oft vom See ins Innviertel) und hatte lange an Ihren „Theatermacher“ gedacht..., fuhr eben noch durch Bernhards Kulissen und habe mich dabei auch an schlammige, sonntägliche Fußballspiele in Thomasroith und Ohlsdorf erinnert (ich war ein jähzorniger, glückloser Verteidiger in der Reserve von Roitham; Kalkwerk oder Baumgrenze waren mir selten näher als an diesen leeren Spätherbstsonntagen, an denen wir durchnäßt und geschlagen von irgendeinem Morastfeld in die Umkleidebuden trotteten, es wurde schon dunkel. Thomas Bernhard saß damals manchmal im Gasthaus Sturm unweit des Roithamer Sportplatzes).

Lieber Claus Peymann, auch mir ist Ihre Kunst nahegegangen, ich war oft irgendwo im Publikum und habe mich dort traurig oder fröhlich machen lassen und auf dem Heimweg auch manchmal daran gedacht, mich an dem wunderbaren, schrecklichen, komischen, liebevollen und rasenden Gespräch zwischen Menschen zu versuchen, Dialoge zu schreiben, Szenen. Aber wo beginnen? Ich wäre vor der Bühne weniger als ein Anfänger und habe auch als bloßer Erzähler noch ein Gebirge vor mir. Ich muß bis Mitte November durch Skandinavien reisen und würde Sie nach meiner Rückkehr gerne zu einer Stunde im Kaffeehaus oder einer anderen kurzen Unterbrechung der Arbeit einladen.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Ransmayr

Christoph Ransmayr, Castletownshend, West Cork, März 2000.
Lieber Herr Peymann,
in mehr oder weniger aufgeregten Berichten höre und lese ich, daß Österreich in diesem Spätwinter 2000 tatsächlich zur Weltkomödie geworden ist: Um Himmels willen, Herr Direktor, man wird Sie im letzten Akt dieser Tragikomödie womöglich an die Donau zu Hilfe rufen und Ihnen das Kanzleramt und die Präsidentschaft des Landes anbieten, das Erzbischöfliche Ordinariat, Burgtheater-, Staatsopern- und Bundesbahndirektorium und schließlich die Landeshauptmannschaft von Kärnten! Und das alles in Personalunion, Herr Direktor! Herr Generaldirektor! Mein Führer! Halten Sie sich bereit.
Herzlich
Ihr Christoph Ransmayr

Peter Turrini

Peter Turrini, Retz, 30. Jänner 1988.
Lieber Claus Peymann!
Ich habe erst jetzt Ihren offenen Brief an die „Presse“ gelesen und muß Ihnen sagen, daß ich mich diebisch über diesen Brief freue. Es tut einem österreichischen Schriftsteller im Herzen wohl, wenn er die Herren Chorherr, Schulmeister und Haider als das bezeichnet sieht, was sie sind: journalistische Giftschlangen. Die Schlangen werden zurückbeißen, das ist sicher, denn Sie nehmen Ihnen das letzte, was diesen Vertretern der österreichischen Bourgeoisie geblieben ist: ihre angemaßte kulturelle Kompetenz. Diese Bourgeoisie ist ja ökonomisch ziemlich am Ende. Als Hitler 38 in Österreich einmaschierte, hat er ja angefangen, von der Berndorfer Metallwarenfabrik bis zu den Devisenbeständen der Österreichischen Nationalbank alles ins Reich zu holen. In den 50er-Jahren wurde diese österreichische Bourgeoisie, die sich im Industriellenverband organisierte, noch einmal deklassiert, und zwar durch die Amerikaner. Die meisten österreichischen Großfirmen wurden von amerikanischen Konzernen geschluckt, und die österreichischen Herren durften ihren neuen amerikanischen Kapitaleignern nur noch die österreichische Kultur erklären. Sie durften sie ins Burgtheater ausführen. Wenn man schon keine besitzende Bourgeoisie mehr war, dann besaß man wenigstens Kultur – und auch das stellen Sie jetzt noch in Frage. Ihr Brief ist eine Kriegserklärung, die ins Herz trifft.

Ich habe Ihnen meinen Unwillen über Ihre Paula-Wessely-Lobhudelei mitgeteilt. Jetzt teile ich Ihnen meine Freude mit.
Ihr Peter Turrini
P. S. Ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen bei den letzten „Sturm“-Proben geht, und wünsche Ihnen eine Menge Kraft, um das alles auszuhalten und siegreich zu bestehen.

Peter Turrini, ohne Ortsangabe, ohne Datum.
Lieber Claus,
was ich Ihnen da schicke, ist kein Aufruf der PLO, sondern die ersten fünf Seiten der arabischen Übersetzung von „Tod und Teufel“, Premiere ist Ende Oktober in Beirut. Ich habe das Ganze für einen Scherz gehalten, aber die absurdesten Dinge stimmen ja immer.

Ich pendle zwischen Retz und dem Irrsee hin und her und fühle mich ziemlich zerrissen. Aber die Leiden sind ja angeblich gut für die Literatur...

Wie geht es Ihnen? Sind Sie schon ein österreichischer Gebirgsmensch geworden? Kommen Sie meiner Mutmaßung, daß Sie in Wahrheit das Kind eines Tiroler Bergbauern sind, welches von einer deutschen Touristenfamilie namens Peymann adoptiert wurde, weil die Bergbauern so arm waren und so viele Kinder hatten, schon näher? Ich habe Kirsten Dene auf Karins Geburtstagsparty getroffen, und sie ist inzwischen sicher, daß sie in Wahrheit Christel Deninger heißt und am liebsten Kärntnerlieder singt... und so weiter.

Mitten zwischen schreienden Nachbarskindern, melancholischen Bosniern und einer Stadträtin für Kultur denke ich an Sie und Jutta, mit der leisen Sehnsucht auf ein Wiedersehen.
Ihr Peter Turrini

Peter Turrini, Retz, 15. Juni 1991.
Lieber Claus Peymann,
ich geben Ihnen schriftlich, was ich Ihnen das letzte Mal in einer Wahnsinnslaune gesagt habe: Ich werde Ihnen mein neues Stück mit dem Titel „Alpenglühen“ im Café Eiles in der Josefstädter Straße überreichen, am 15. Oktober um Punkt 16.00 Uhr. Sollte ich zum angegebenen Zeitpunkt nicht im Lokal erscheinen, so werden zwei schwarz gekleidete Herren mit teilnahmsvollem Blick und ungesunder Hautfarbe auf Sie zukommen. Solche Erscheinungen nennt man in Wien „Pompfüneberer“. Sie werden Ihnen mein freiwilliges „Aus-der-Welt-Scheiden“ mitteilen.

Immer wieder denke ich an Ihre „Clavigo“-Inszenierung. So treffend habe ich den (männlichen?) Wahn, daß man sich in Bilder und Vorstellungen vom anderen verliebt und versteigt, noch nie vorgeführt bekommen.

Sollten wir uns vor dem Sommer nicht mehr sehen, so wird uns der Herbst zusammenführen. Alles Beste für Sie.
Ihr Peter Turrini

Peter Turrini, Retz, 3. März 2000.
Lieber Claus!
Es war schön, Sie in Wien zu treffen. Daß der Koch Sie nach dem Essen gefragt hat, ob er wohl gut genug für Sie gekocht hätte, müssen Sie als eine der höchsten Auszeichnungen nehmen, welche die österreichische Republik zu vergeben hat. In Deutschland marschiert eine Ehrenkompanie der Bundeswehr auf, in Österreich kommt der Koch an den Tisch. Mit dem Stück, welches ich für Ihr „Berliner Ensemble“ schreibe, geht es gut voran. Ich bin jetzt an jener Stelle, an welcher der Schwarze kein Schwarzer mehr ist und die Polizisten alle zu Schwarzen werden. Das ist kein Theaterwitz, sondern entspricht einer tiefen (österreichischen) Erfahrung: Hinter jedem Österreicher steckt nämlich ein anderer, ein Tscheche, ein Ungar, ein Slowene, ein Italiener, ein Kroate und so weiter. Die Österreicher geben sich nur als Österreicher aus, sind aber keine. Als ich als junger Schriftsteller mit einem slowenischen Schriftsteller slowenisch sprach, schimpfte vom Nebentisch ein etwas betrunkener Kärntner Bauer her: Hier werde deutsch gesprochen! Der Bauer redete sich in einen immer größeren Wirbel hinein, dies sei ein deutsches Land, hier hätte das Slowenische keinen Platz, Kärnten sei immer deutsch gewesen und so weiter. Die letzten Sätze sprach er bereits auf Slowenisch.

Herr Waldheim, unser ehemaliger Bundespräsident, hieß ja in Wahrheit Watzlawik und ließ sich kurz vor dem Einmarsch Hitlers auf Waldheim umtaufen. Herr Westenthaler, der derzeitige Fraktionschef der Haiderpartei, hieß noch vor ein paar Jahren Hojać, auf die Frage, warum er sich jetzt Westenthaler nenne, antwortete er, er wolle sein Fortkommen nicht behindern. Ganz Österreich hat sich umtaufen lassen, damit sein Fortkommen nicht behindert wird. Und in Deutschland, wer steckt eigentlich hinter den Deutschen? Deutsche?

Ich grüße Sie und Ihre Mischpoche sehr herzlich und dichte unter meinem italienischen Namen weiter.
Ihr Peter Turrini

Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, ohne Ortsangabe, März 1996.
Lieber Hermann Beil!
Wie schon gesagt, bin ich traurig über das alles, aber es hilft mir auch, Entscheidungen zu treffen, die überfällig waren. Ich will Sie nicht damit langweilen, aber da wir uns jetzt doch länger kennen, habe ich das Bedürfnis, es Ihnen ein wenig ausführlicher zu erklären: Ich kann im Grunde nicht mehr mit der Öffentlichkeit in Österreich zurechtkommen.

Es hat schon eigentlich mit der „Raststätten“-Rezeption begonnen (natürlich nicht die Kritiken, die bin ich längst gewohnt, und die sind in Deutschland womöglich noch schlimmer, was mich betrifft, aber ich kann es nun einmal nicht ertragen, auf der Straße von wildfremden Leuten angepöbelt zu werden, was geschehen ist. Ich fahre nicht Auto und bin auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen), dann das F-Plakat, nein, nicht das Plakat selbst, denn diese Leute können mich nicht treffen, aber die nicht erfolgte Solidarität der Kollegen, mit wenigen Ausnahmen. Dazu die ständigen Anwürfe, auch von seiten des linksliberalen „Falters“ (das trifft ja auch den Peter Turrini, aber er ist eben ein andrer Mensch als ich, er kann das offenbar besser wegstecken), wir Künstler und Intellektuellen hätten Haider erst „gemacht“, nachdem diese Medien selber jahrelang nichts anderes getan haben, als über H. zu schreiben.

Auch der scherzhafte Rat auszuwandern, gegen nicht nur mich, sondern auch etliche andere Kollegen, über sechs Seiten ausgebreitet (ebenfalls im „Falter“, immerhin dem einzigen linksliberalen Medium, mit Ausnahme des „Standards“), trifft in mir jemanden, dessen halbe Familie ja auswandern mußte. Es gibt noch vieles zu sagen, aber kurz: Ich kann mit der österreichischen Öffentlichkeit nicht mehr leben und will es auch nicht. Was ich in Zukunft künstlerisch auch noch sagen könnte, es würde mir ja doch noch im Mund herumgedreht werden und gegen mich verwendet. Ich weiß nicht, vielleicht wäre man bei einem Mann auch toleranter, da spielen sicher viele Faktoren eine Rolle. Jedenfalls habe ich mich entschlossen, das Roma-Stück in Österreich nicht aufzuführen, nirgends, und auch sonst nichts mehr (falls sich an diesem Zustand, den ich hier nur sehr kurz skizzieren konnte, nichts entscheidend ändert in den nächsten Jahren). Ich ziehe mich also zurück und habe das auch dem Verlag schon mitgeteilt. Der Thomas Bernhard hat das erst nach seinem Tod getan, sich zurückziehen, meine ich, ich habe zum Glück die Möglichkeit, es noch zu meinen Lebzeiten zu können.

Ich danke Ihnen für alles und grüße Sie sehr herzlich. Herrn Peymann habe ich meine Genesungswünsche schon ins Spital geschickt.
Ihre Elfriede Jelinek


Elfriede Jelinek, ohne Ortsangabe, 9. Februar 1997.
Lieber Claus Peymann!
Eben hat mich Einar Schleef angerufen. Er will das „Sportstück“, das er gelesen hat, sehr gern machen. Ich weiß natürlich nicht, ob Sie das riskieren würden, wollte es Ihnen aber sagen. Es ist Ihre Entscheidung natürlich. Ich fände ihn jedenfalls toll.
Liebe Grüße von
Ihrer Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, ohne Ortsangabe, Datum nicht lesbar.
Lieber Claus Peymann, auch wenn ich natürlich nichts entscheiden kann und darf, möchte ich doch noch einmal deponieren, wie wichtig mir wäre, daß Einar Schleef das Stück macht, es wäre genau das Richtige für ihn, auch von den Massenszenen her. Es steht mir natürlich nicht zu, Ihnen irgendwelche Ratschläge zu geben (auch wenn ich mich – sozusagen durchs Plakat – mit Ihnen klarerweise außerordentlich verbunden fühle), aber denken Sie nicht, daß in dieser Situation es einfach nötig wäre, etwas Verrücktes zu machen? Jetzt, da es ohnehin egal ist. Man könnte, finde ich, jetzt wirklich ein Wagnis eingehen und so etwas riskieren. Natürlich ist es nicht mein Wagnis, und ich habe kein Recht, Ihnen etwas zu empfehlen, aber wie soll ich es sagen: Sollen wir jetzt nicht endlich einmal auf das alles scheißen??? Um zur Sprache unsrer Jugend zurückzukehren.
In jedem Fall Dank und alles Liebe von Ihrer Elfriede Jelinek

Peter Handke

Peter Handke, Casavieja, Spanien, 20. Februar 1999
Lieber Claus,
schon wieder Spanien! – Was ich von den Zeitungen zu unserer Sache kenne: Nicht einmal die übelsten Tölpel kommen umhin, von „Triumph“ und „Jubel“ zu knirschen. Dabei ist es so klar, daß es sich um eine fast ideale Inszenierung eines ziemlich realen Stücks handelt, mit durchwegs gewaltigen, feinen Schauspielern. Ich werde jedenfalls das Theater ab jetzt ruhig hochhalten.
Peter

Peter Handke, ohne Ortsangabe, 19. März 1999.
Seit längerem lese ich keine deutschen und österreichischen Zeitungen mehr. In letzter Zeit aber hat mir dieser und jener wohlmeinende Freund einige Artikel zukommen lassen, die sich mit meinem Gespräch im jugoslawischen Fernsehen am 18.Februar 1999 in Rambouillet befassen. In jenen Artikeln wird laut, was dort eben laut zu werden hat, in dem Sinn, wie ordentliche Hunde, sowie ein Revier-Fremder ihr Revier streift, ordentlich bellen müssen. Dazu ist nichts zu sagen.

Zu dem Hauptstrang des heutigen Journalismus fällt mir nichts ein. Inzwischen sind mir auch mehr und mehr Kommentare zu Gesicht gekommen, die meine Aussagen von Rambouillet verknoten mit dem Theaterstück „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“, dessen Text noch nicht veröffentlicht ist und dessen Aufführung im Juni am Wiener Burgtheater stattfinden soll. Bei dem einen journalistischen Musterexemplar heißt es so, Peter Handke habe seine Äußerungen nur getan, um Reklame für das Drama zu machen. Die andere Edelfeder weiß, daß auf den Proben „Schreiduelle“ stattfinden, daß „schon wieder ein Schauspieler abgesprungen“ ist, daß die Freundschaft P.H.s mit einem europaweit berühmten Theaterregisseur „wegen Serbien zerbrochen“ ist.

Sein Highlight (Fremdwort!) aber hat solches Knotenschnüren zwischen meinen TV-Sätzen und der im Anfangsstadium befindlichen Probenarbeit zu dem Stück jüngst bekommen, in dem wieder ein anderer Grandseigneur des modernen Journalismus, untermalt von einer sehr treffenden Zeichnung (?), die P.H. mit einem (wohl serbischen?) Messer zwischen den Zähnen darstellt, fordert, das Stück abzusetzen von der „Bühne der Republik“. – Grund: P.H. sei nicht bloß ein „Geschichtsfälscher“, sondern würdige auch noch „die Ermordung von sechs Millionen Menschen“ (=Juden) herab. Hut ab (oder Mütze) meinerseits für solch exemplarischen heutigen Zeitungsschreiberstreich, der Spruchbemächtigung und der Wortvergewaltigung.

Journalisten, macht mit mir, wie es euch gefällt; schreibt oder sagt meinethalben sogar, daß P.H. sich „die Birne weichgesoffen“ hat – daß nur noch der Psychiater hilft – daß sein Stiefvater „ein Trinker“ war – daß seine Mutter eine Selbstmörderin war – daß seine dreißigjährige Tochter hinkt – daß seine achtjährige Tochter schielt (oder umgekehrt): Aber laßt das Stück – laßt die im status nascendi befindliche Aufführung – laßt vor allem die Schauspieler in Frieden! Anders wird, von mir aus, „Das Stück zum Film vom Krieg“ auf der Bühne vorerst nicht stattfinden, das Zuschauervolk, für welches das Drama bestimmt ist, wird es, dank euch Medienlichtern, nicht sehen. Darüber wird es, nach all der journalistischen Vor-Arbeit, Jubel geben, den freudlosen Jubel des ewigen Pöbels der Kunsthasser. Aber vielleicht wird es auch ein wenig schade und von Schaden sein, für den und jenen, für die Kunst, für das Theater.

In Frage stellen: ja! Was aber die Journalisten jetzt machen, das ist kein In-Frage-Stellen, vielmehr Abschaffensdrang. Laßt den Regisseur und die Schauspieler ab sofort in Ruhe, und in Unruhe!, tüfteln, suchen, spielen, mit anderen Worten: Kunst machen, mit anderen Worten, EWIG ENTGEGENGEHEN. ¡Gracias! Merci en avance. Huala lepo. Danke! Faleminderit shurnë (= „vielen Dank“ auf Albanisch).
P. H., 19. März 1999
(Fest Josef der Nährvater)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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