Raimundtheater: Mitreißendes Jürgens-Musical

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"Ich war noch niemals in New York": einfach, aber zündend witzig. Bleibt als Wermutstropfen, dass dieses Musical aus Hamburg importiert werden musste, wo es zuvor Furore gemacht hatte

Wer je auf einem Kreuzfahrtschiff war, weiß, dass auch dies, auf hohem Niveau, ein Massengeschäft geworden ist. Die Fremdenverkehrswerbung mit nostalgischer Schlagseite, die beim Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“, seit Mittwoch im Raimundtheater zu sehen, betrieben wird, sollte niemanden täuschen: Die Wirklichkeit schaut anders aus. So wie in Stefan Mosters Roman „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ (Mare, 2009).

Fünf Stunden sollen der große Musiker Udo Jürgens und der mittelgroße Autor Gabriel Barylli gespeist haben. Dann waren sie über ihr gemeinsames Musical handelseins. Jürgens hatte dabei deutlich weniger Arbeit als Barylli. 21 Jürgens-Songs sind ins „New York“-Package verpackt, unsterbliche Evergreens von „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ bis „Merci Cherie“, aber auch weit Schwächeres, textlich, die Musik ist meist gut.

Das Musical stagniert. Jüngst hatte in London die Fortsetzung von Andrew Lloyd Webbers „Phantom of the Opera“ Premiere. Nicht einmal der Brite, der mit ein, zwei eingängigen Melodien pro Werk ein Vermögen anhäufte, wagt Neues. Das Musical steht wie Teile des Films unter der Fuchtel der Produzenten, die Herstellungskosten herein- und dem Shareholder Value bringen müssen. Kreativ ist das Jürgens-Musical eine Offenbarung, ein Blütenstrauß bester Unterhaltungsmusik, die der neue Musikchef der Vereinigten Bühnen Wien (VBW), der Niederländer Koen Schoots, punktgenau zündet bzw. ins Ohr schmeichelt.

Jürgens (75) erhielt Standing Ovations am Anfang und am Ende der Premiere, was ihn zu Tränen rührte. Der Mann hat sich nicht geschont, immer neue Generationen von sich zu überzeugen. Selbst die heiklen Pubertierenden haben sein „Mit 66 Jahren“ oder „Aber bitte mit Sahne“ auf dem iPod, ein Wunder bei der Konkurrenz an deutschen und internationalen Hits zwischen „Superheld“ (Rob & Chris) und Peter Fox, von dem Zeitgeschmack 100-prozentig entsprechenden rasanten Girlies wie Lady Gaga ganz zu schweigen. Dennoch: Die Großleistung hat bei diesem New-York-Musical Barylli erbracht. Sein Text ist witzig, weist dem Genre neue Wege – und gleichzeitig zurück zu dessen Wurzeln: Musicals hatten fast immer schlichte Storys – auch hier –, dafür gab's tolle Musik und schlagfertige Dialoge.

Besonders gelungen ist der Gag, den Jürgens-Hits einen Tick ins Ironische zu geben: Ein kleiner Junge singt „Mit 66 Jahren“, zwei Homosexuelle trällern vom „Ehrenwerten Haus“, und das Paar, das sich wie Hund und Katz angefeindet hat, fleht sich an: „Bleib doch zum Frühstück“. Die gelernte Schauspielerin Carline Brouwer ist eine perfekte Regisseurin. Fantastische Kostüme: Yan Tax. Flotte Choreografie: Kim Duddy. Reichlich kitschig: die Bühne (David Gallo).

Das Ensemble glänzt: Ann Mandrella und Andreas Lichtenberger sind das junge Paar, sie ähnelt Sandra Bullock in „Selbst ist die Braut“, er ahmt täuschend Jürgens Melos nach. Hertha Schell und Peter Fröhlich berühren als Senioren, die aus dem Heim ausreißen und sich auf eine Kreuzfahrt begeben. Andreas Bieber und Gianni Meurer sind ein angenehm unpeinlich überzeugendes Schwulenpaar. Julian Fritz, ein herziger Bub, lässt keine Gelegenheit aus, sich über die verrückten Erwachsenen zu wundern.

Das hätte den VBW einfallen sollen

Bleibt als Wermutstropfen, dass dieses Musical aus Hamburg importiert werden musste, wo es zuvor Furore gemacht hatte: Österreichischer Komponist, österreichischer Autor, das hätte den VBW selbst einfallen können. Auch vom Defizit, das Flops wie „Producers“ und „Rudolf“ verursachten, war schon lang nichts mehr zu hören. Aber Kulturpolitik sollte ja nicht sein in einer Kritik, nicht wahr? Und „Ich war noch niemals in New York“ macht alles wieder gut. Versprochen. Die PR-Maschinerie in Ö3 lief auf Hochtouren. Hoffentlich lassen sich nicht allzu viele Leute von den schaurigen Ausschnitten (Fernsehen, YouTube) vergraulen. Das Live-Erlebnis ist ganz anders.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2010)

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