Jedermann ist im Zeitalter des Popkonzerts angekommen

Philipp Hochmair hat es geschafft
Philipp Hochmair hat es geschafftAPA (BARBARA GINDL)
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Philipp Hochmair begeistert als Einspringer für Tobias Moretti mit Deklamationstheater und lebendigem Spiel. Die Schauspieler trotzten tapfer einem Sturm.

Ein Sturm zog auf beim „Jedermann“ am Donnerstagabend in Salzburg. Er riss an den weißen Vorhängen, wehte die Noten der Musiker durcheinander, es schepperte und krachte, man wollte gar nicht so genau wissen, woher. Die Damen auf der Bühne und im Publikum fürchteten um ihre Frisuren. Doch alles ging gut aus.

Mit Philipp Hochmair, der für den erkrankten Tobias Moretti einsprang, ist der „Jedermann“ endgültig im Popzeitalter angekommen. Wiewohl Hochmair traditionsbewusstes Deklamationstheater bot, fast vermeinte man ein Echo des hohen Burgtheater-Tons zu vernehmen. Und doch steht hier natürlich ein selbstbewusster Vierziger auf der Szene, der all das bietet, was man von einem modernen Jedermann erwartet.

Aus Hofmannsthals poetischer, aber in heutigen Ohren mitunter allzu bieder klingender Moritat wächst die Geschichte von Aufstieg und Fall eines coolen Gründers, der aus altem Geld neues machte. Rhetorisch brillant erklärt dieser Jedermann dem armen Nachbarn, warum Umverteilung nicht in Frage kommt. Dem Schuldknecht schiebt er flugs die Schuld am Kreditaufnehmen zu. Was hätte der bedauernswerte Kridamacher, der im feschen Anzug an der „Jedermann“-Party, pardon Tischgesellschaft, teilnimmt, sonst tun sollen? Mit drei halbwüchsigen Kindern und einer eleganten Gattin?

Der Geschäftsmann als Pilger

Jedermann verspricht, die Dame in einem Kammerl seiner Villa unterzubringen, später wird er feststellen, dass just die Mini-Spende für den Nachbarn und die Bewahrung von Schuldknechts Frau nebst Kindern vor der Sozialwohnung den Guten Werken Beine machen – damit dieser geschmeidige Selfmade-Protz doch noch in den Himmel einziehen darf. Dort versucht er vermutlich Gott ein Startup für Bekehrung einzureden.

Hochmair beherrscht den Text von seiner „Jedermann (reloaded)“-Show, mit der er seit der Premiere 2013 beim Young Directors Project in Salzburg tourt. Er beherrscht aber auch die Figur, sein Jedermann ist der Gegenwart am nächsten, Michael Douglas und seinem zynischen Gordon Gekko aus „Wall Street“ oder dem melancholischen Gatsby von Leonardo Di Caprio. Hochmair schafft sogar die Wendung vom Geschäftsmann zum Pilger, wohl haben diese Prototypen Gemeinsamkeiten, Manager suchen heute gern Inspiration in der Einkehr. Allzu große Ansprüche an den Gottglauben stellt diese „Jedermann“-Version in der Regie von Michael Sturminger allerdings nicht, hier herrscht eher eine ironische Atmosphäre à la „Wer's glaubt“. Der wahre Herrscher der Aufführung ist der Tod, grandios manifestiert in Peter Lohmeyer, er ist fast die einzige Figur, die bruchlos authentisch sein darf.

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Einmal mehr beeindrucken: Edith Clevers Mutter – auch sie hat diese schöne, markante Stimme wie Hochmair, die an längst vergangene Theaterzeiten erinnert, in denen auf den Bühnen noch nicht gebrüllt, gehaspelt und gestottert werden durfte; Johannes Silberschneider zeigt einen herrischen Glauben. Stefanie Reinsperger umarmte am Schluss Hochmair schwesterlich, als Paar überzeugen die zwei nicht wirklich, das ist auch mit Reinsperger und Moretti so.

Wandlungen des Religionsbegriffes

Witzig sind der Teufel (Hanno Koffler), dessen toller feuerroter Höllennebel, der unter der Bühne hervorquillt, diesmal vom Winde verweht wurde, und der Mammon (Christoph Franken). Hofmannsthal war kein Spaßmacher, aber die zwei machen Spaß. Wer den „Jedermann“ immer wieder im Festspielhaus gesehen hat, muss an diesem Abend feststellen: Es geht einfach nichts über den Domplatz! Allerdings ist es günstiger rechts als links zu sitzen, rechts spielt sich der Hauptteil des Geschehens ab.

Wer war denn nun der Bessere? Schwer zu sagen. Diese zwei Jedermänner sind sehr unterschiedlich, was sie verbindet, ist, dass sie aus unserer Zeit der Tüchtigen und der Glücksritter stammen und skurril pragmatische, dabei aber trotzdem sentimentale Affinitäten zur Religion haben. Peter Simonischeks Jedermann war von echter Religiosität erfüllt. Bei Moretti und Hochmair wirkt sie wie Scherben eines Spiegels, in dem sich allerhand zeigt, auch die eitle Selbstbespiegelung („Das pack ich noch!“). Der Lehre stehen Moretti und Hochmair schon fern. Sie haben sich ihr eigenes Leben gezimmert, jetzt zimmern sie sich ein Ende.

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„Jetzt wären wir schon beim Moretti!“

Moretti hat Power, aber seine Filmaktivitäten haben sein Bühnencharisma vermindert. Dafür liebt ihn das traditionelle Publikum: „Jetzt wären wir schon beim Moretti!“, seufzte eine Dame. Hochmair wirkt im Film oft weniger überzeugend als im Theater, er hat auch billig zusammen geklitterte Figuren verkörpert wie den schwulen Minister in „Vorstadtweiber“. Während Moretti Kunstfilme wie den Alpenwestern „Das finstere Tal“ drehte, in dem er kongenial besetzt war.

Hochmair wird nach diesem „Jedermann“ seinen Namen nicht mehr buchstabieren müssen. Sein Styling als Popstar der Bühne, das er mit flott gedrechselten Interviews untermauerte, hat sich ausgezahlt. Den herrlichen Irrsinn, den er einst ausstrahlte, hat er fast verloren. Dafür empfiehlt er sich als Identifikationsfigur für die jüngere Erfolgsgeneration – und als Jubiläums-Jedermann für 2020. Dann ist Salzburgs Heiligtum, das freilich keins mehr ist, 100 Jahre alt.

"Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal

Regie: Michael Sturminger
Bühne und Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser
Komposition und Musikalische Leitung: Wolfgang Mitterer
Choreografie: Andreas Heise

Mit: Philipp Hochmair - Jedermann, Stefanie Reinsperger - Buhlschaft, Peter Lohmeyer - Tod/Spielansager, Hanno Koffler - Teufel/Jedermanns guter Gesell, Christoph Franken - Mammon, Mavie Hörbiger - Werke, Johannes Silberschneider - Glaube, Edith Clever - Jedermanns Mutter, Hannes Flaschberger - Dicker Vetter, Stephan Kreiss - Dünner Vetter, Fritz Egger - Ein Schuldknecht, Martina Stilp - Des Schuldknechts Weib, Roland Renner - Ein armer Nachbar, Sigrid Maria Schnückel - Der Koch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2018)

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