Show mit zu viel Belehrung

Ein tolles Ensemble, das riesige Textmengen perfekt einstudiert hat, verteidigt im Volkstheater die Demokratie – mit viel Propaganda für die SPÖ.
Ein tolles Ensemble, das riesige Textmengen perfekt einstudiert hat, verteidigt im Volkstheater die Demokratie – mit viel Propaganda für die SPÖ.APA/ROLAND SCHLAGER
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„Verteidigung der Demokratie“ von Christine Eder begeistert mit lebendigem Spiel und nervt mit Frontalvortrag. Das stärkste Charisma hat Musikerin Eva Jantschitsch.

Schulfunk, da fielen jedem gleich die Augen zu. Heute bietet etwa das Ö1-„Radiokolleg“ erstklassig aufbereitete Sendungen zu aktuellen Themen. Die Konkurrenz bei Didaktik bzw. Vermittlung ist überhaupt sehr groß. Das Volkstheater probt die Erziehung Heranwachsender mit der Politshow „Verteidigung der Demokratie“. Im Zentrum steht der Architekt der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen (1881–1973). Christoph Rothenbuchner zeichnet ihn ohne professorale Attitüde.

Ein vielseitig gebildeter Intellektueller philosophiert hier über knifflige Fragen: „Wer für die Demokratie ist, darf nicht zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten. Das Ideal der Freiheit ist unzerstörbar, je tiefer es gesunken ist, umso leidenschaftlicher wird es wieder aufleben.“ Wohl wahr.

Aber wie lang dauert so etwas? Sehr lang. Wir erleben es immer wieder. Kelsens eigene Biografie führt es vor. Er wurde bekämpft, war Zielscheibe von Antisemitismus, musste vor den Nationalsozialisten fliehen, immer wieder eine neue Existenz aufbauen, zuletzt in den USA. Eine Einladung an den brillanten Gelehrten, heimzukehren, blieb aus, er starb in Berkeley.

Popmusik besiegt das Schauspiel

Christine Eder, die bereits „Alles Walzer, alles brennt, eine Untergangsrevue“ über das Rote Wien im Volkstheater gestaltet hat, macht diesmal noch mehr penetrante Werbung für die Sozialdemokraten. „Verteidigung der Demokratie“ zeichnet klare Fronten, hier skrupellose Kapitalisten, dort Sozialabbau. Stupid Economy. Es wird echt erfrischend sein, wenn sich einmal jemand abseits von Agitprop wissend mit den Mächtigen dieser Welt auseinandersetzt.

Schiller konnte das oder die geistreiche Elfriede Jelinek in „Die Kontrakte des Kaufmanns“. Nicht alles, was aus Medien aufgelesen, in Archiven oder beim Brainstorming gefunden wird, entfaltet auf der Bühne Esprit. Spannend sind immerhin die Betrachtungen über das schillernde Wort Liberalismus und die einflussreiche neoliberale Mont Pèlerin Society. Meistens aber geht es diffus gegen „die da oben“ (mit Zigarre, das sind die Schlimmsten). Wen solche Schwarz-Weiß-Malerei nicht stört, der wird einen tollen Abend erleben: mit Karacho durch die Zeitgeschichte! Die Zeitgeschichte der Welt, denn auch Chile ist ein Schauplatz der Show. Und die Moral von der Geschicht' – liebe alle, seid wachsam, die Demokratie kann plötzlich kippen – werden gewiss viele teilen.

Die Produktion ist perfekt gemacht. Das stärkste Charisma entfaltet Sängerin Eva Jantschitsch (Gustav). Hier stimmt die Balance zwischen Aura und Botschaft, ansonsten gibt es viel zu lange Passagen von Frontalvortrag. Der Textmüll nervt, obwohl das extrem geforderte Ensemble großartig ist: Katharina Klar, Birgit Stöger, Nils Hohenhövel und der ganz besonders wunderbare Thomas Frank wechseln ständig die Rollen und die Sprachen. Was die Elektronik alles kann! Das dürfte die Älteren mehr verblüffen als die Jungen, auf die diese Aufführung zugeschnitten ist – die freilich zu viel vom alten Schulfunk hat: Kinder, hört her, da sind die meisten heute schon weg. Popmusik besiegt an diesem Abend das Schauspiel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2018)

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