Peter Stein: "Ich lasse mich nicht verarschen!"

Peter Stein lasse mich
Peter Stein lasse mich(c) APA/GI (Barbara Gindl)
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Peter Stein erklärt Dostojewskis "Dämonen" und Alban Bergs "Lulu". Er schimpft über das heutige Theater, preist Brandauer und erläutert, warum es immer Schwund von Subventionen wie in Salzburg geben wird.

Die Presse: Fast zwölf Stunden „Dämonen“ von Dostojewski. Sie halten nicht allzu viel vom Prinzip: „In der Kürze liegt die Würze“?

Peter Stein: Dieser Spruch kommt aus der Küche und ist nicht immer anwendbar auf Kunstwerke. Wenn Sie mich fragen, warum 8,40 Stunden reine Spielzeit, mit Pausen 11,5 Stunden, dann frage ich zurück: Warum nicht? Um einen Roman von 1000 Seiten nachzuerzählen, braucht es eben seine Zeit. Die alten Griechen, die das Theater erfunden haben, haben drei Tage hintereinander vier Stücke gespielt. Es ist dem Theater eingeschrieben, dass es eine gewisse Dauer verlangt, um die Menschen nicht in kritische Begaffer zu verwandeln, sondern in eine Art von Gemeinschaft.

Können Sie für jemanden, der das Buch nicht gelesen hat, die Geschichte erklären?

Stein: Im Zentrum steht eine Gruppe von jungen Menschen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland von ihren liberalen, aufgeklärten Vätern gelernt haben, dass sie etwas in der Gesellschaft ändern müssen. In der Folge zeigen sich die Konsequenzen dieser Einstellung. Die christlich-orthodoxen Werte werden durch Ideologien ersetzt, mit denen versucht wird, einen neuen Menschen zu schaffen. Das passiert durch Zwang und Terrorismus. Es gibt aber auch junge Menschen, die in eine andere Falle stürzen, in den Indifferentismus, es ist ihnen alles gleichgültig. Sie können christlich sein, aber auch Anarchisten oder Atheisten. Sie fühlen sich innen vollständig leer. Für letztere steht die Figur des Stawrogin, mit der man sich heute besonders gut identifizieren kann. Dostojewski hat eine große Leistung vollbracht, indem er voraussah, was passieren wird...

Klingt alles ziemlich trübe und ernsthaft.

Stein: „Dämonen“ ist Dostojewskis politischster Roman. Dennoch sieht er das Geschehen aus einer humoristischen Distanz. Es gibt Liebesgeschichten, Familienprobleme. Teile des Romans und auch meiner Aufführung wirken eher wie ein Stück von Noël Coward. Wir haben im Übrigen nicht die Tendenz, ganz neues Theater zu schaffen, was sowieso widerlich ist. Wir versuchen den Leuten Gelegenheit zu geben, diesem wunderbaren Text komplett zu begegnen.

Sie sind immer ziemlich kritisch gegen das zeitgenössische Theater. Gibt es gar nichts Positives, das Sie daran finden?

Stein: Es gefällt mir nicht, was ich sehe, darum gehe ich nicht oft hin. Manchmal muss ich mir was angucken. Wenn ich Besetzungen mache, bekomme ich die Videos geschickt. Das ist dann sehr unerfreulich. Ich lasse mich nicht verarschen. Alles muss modernisiert werden, man darf nichts mehr so machen, wie es früher gemacht worden ist. Das ist ein völliger Blödsinn. Theater wurde immer so gemacht wie es früher gemacht worden ist, in der Renaissance war das so, bei Schiller und bei Goethe. Diese dämliche Wichtigtuerei der Regisseure! Was soll denn das? Der Regisseur ist völlig unwichtig. Er soll Vermittler sein zwischen dem Autor und dem Zuschauer. Das Wesentliche sind natürlich die Schauspieler. Die Regisseure haben ständig Einfälle. Grauenvoll!

Sie zeigen bei den Festwochen auch Alban Bergs „Lulu“, bei Frank Wedekind eine dämonische Frau, ein schönes Tier, eine verschwitzte Männerfantasie der Jahrhundertwende?

Stein: „Lulu“ ist ein Stück über Sex. Alban Berg hat diese ganze Zirkusgeschichte beiseite geräumt und dafür die intensiven psychologischen Elemente in den Vordergrund gezogen. Lulu ist eine Frau, die ihre sexuellen Bedürfnisse leben möchte. Diese äußern sich in ihr völlig klar und unschuldig, ohne Hintersinn oder Machtstreben. Die Männer nutzen das in übelster Weise aus, obwohl sie dieser Frau verfallen, aber sie benutzen sie auch. Auf diese Weise entsteht ein Bild des Verhältnisses von Mann und Frau, das diese katastrophale und verfluchte Beziehung zwischen den Geschlechtern, wie sie seit Jahrtausenden besteht und besungen wird, mit einem kräftigen Schlaglicht beleuchtet. Das hat mich interessiert. Ich arbeite nicht, um Kunst zu produzieren. Ich möchte ein Werk ganz besonders gut kennenlernen. Das kann man durch Inszenieren besser als jeder Universitätsprofessor.

Sind Sie wirklich der Meinung, dass Liebe niemals funktionieren kann? Niemals?

Stein: Die Liebe ist nicht lebbar, wie alles, was wir Menschen in uns haben. Letzten Endes wird alles vermischt oder im Gegeneinander trickreich ausbalanciert. Lulu wollte das nie. Sie wollte ihre Liebeslust leben und kommt unter die Räder. Ich muss allerdings sagen, dass ich mit dieser Lyoner Aufführung der „Lulu“, wie sie jetzt nach Wien kommt, nichts zu tun habe. Das macht ein Assistent, es gibt eine andere Besetzung und einen anderen Dirigenten.

Stört Sie das? In der Oper ist das doch normal.

Stein: Sicher macht mir das was aus. Sehr viel sogar. Aber ich bin gezwungen worden, die Bedingungen, die ich nicht für gut und richtig halte, zu akzeptieren, weil die Oper von Lyon meine Tschaikowsky-Puschkin-Trilogie auf die Beine stellt: 21 Bühnenbilder. Das ist sehr aufwendig und teuer. Daher fühle ich mich Lyon verpflichtet und konnte nicht einfach meinen Namen von der Inszenierung zurückziehen. Lyon braucht die Koproduktionsgelder von Wien.

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Stein: Meinen Sie, dass er ein Ekel ist?

Eher barock und unberechenbar.

Stein: In meine Richtung ist er das nicht. Er sagt immer, ich bin dein kleiner Bruder. Das ist tatsächlich so. Wir ähneln einander, auch vom Äußeren her. Wir hatten beide denselben Lehrer, Fritz Kortner. Wir repräsentieren die Tradition des deutschen Theaters.

Sie waren Schauspiel-Chef in Salzburg. Dieser Festspiel-Skandal, ist das einmalig oder was Übliches, das woanders auch passiert?

Stein: Ich habe 15 Jahre die Schaubühne in Berlin geleitet. Ich habe die Subventionen damals von 300.000 DM auf 2,5 Mio. hochgedrückt. Trotzdem habe ich immer gesagt, zehn bis 15 Prozent sind in subventionierten Staatsbetrieben „Unterschleif“: Da wird manipuliert, geklaut, getrickst. Es wird unberechtigterweise Geld abgezweigt, jemand verschafft sich Vorteile. Das ist nun mal so in diesen Unternehmen. Das ist normal. Weil aber in Salzburg besonders viel Geld ist, ist die Möglichkeit zum „Unterschleif“ besonders groß. Das wird sich auch durch noch so viel Kontrolle nicht ändern. Die Technik in Salzburg ist aber auch eine große Verführung. Ich freue mich, wieder mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen.

Was haben Sie sonst vor?

Stein: „Die Dämonen“ gehen auf Welttournee, nach New York, Amsterdam, Athen, Rom, Mailand. Ich bin durch diese Produktion sehr ausgeblutet. Ich musste da sehr viel eigenes Geld reinstecken. Jetzt habe ich keines mehr. Nach dem „Ödipus“ mache ich „Boris Godunow“ an der Met mit Gergiev und nächstes Jahr „Die Nase“ von Schostakowitsch in Zürich. Die Zusammenarbeit mit Salzburg wird weitergehen, es soll einen „Macbeth“ mit Riccardo Muti geben. Aber es gibt noch keine Besetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2010)

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