Akademietheater: Peymanns Abschiedssinfonie „Die Stühle“

Warten auf das schwarze Nichts: Maria Happel und Michael Maertens als das alte Paar in Eugène Ionescos groteskem Endspiel von 1952.
Warten auf das schwarze Nichts: Maria Happel und Michael Maertens als das alte Paar in Eugène Ionescos groteskem Endspiel von 1952.APA/GEORG HOCHMUTH
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Michael Maertens und Maria Happel brillieren in Eugène Ionescos „Die Stühle“. Die Regie lässt ihnen Raum zur Entfaltung.

Kann es einen besseren Beginn für ein absurdes Meisterstück von Eugène Ionesco geben als einen Lapsus in letzter Minute? Das ungeplante Vorspiel bei der Premiere von „Die Stühle“ im Wiener Akademietheater wirkte am Mittwoch wie inszeniert: Noch strömen Zuseher auf ihre Plätze, noch steht das letzte Läuten aus, da löst sich ein Drahtseil. Der hauchdünne schwarze Vorhang an der Rampe schwebt herab und gibt den Blick auf ein düsteres Bühnenbild (von Gilles Taschet) frei: zwei schwarze Stühle und zwei schwarze Wände bis zur halben Höhe, die sich perspektivisch steil nach hinten verjüngen, Reihen von Türen links und rechts. Hektik bei den Bühnenarbeitern, die einander im Dialekt zurufen, was jetzt zu machen sei. „Lass nach!“, rät einer von ihnen. Ein Techniker erscheint kurz darauf links auf einem Balkon und balanciert auf wackeliger Leiter nach oben, um das Wirrwarr zu lösen.

Endlich ist der Vorhang wieder hochgezogen. Der 1952 in Paris uraufgeführte Einakter über ein steinaltes Paar, das nur noch in Fragmenten der Erinnerung lebt, beginnt.

Das Trauertuch sinkt herab, alles ist bereit für die Inszenierung dieses Stücks (in der deutschen Übertragung von Jacqueline und Ulrich Seelmann-Eggebert) durch den früheren Burgtheaterdirektor Claus Peymann. Er ist während der Proben erkrankt, sodass Leander Haußmann als Regisseur aushelfen musste. Schon zuvor hatte sich Maria Happel, die die Alte spielt, in der Probenzeit verletzt. Die Premiere wurde verschoben. Scheitern, Scheitern, Scheitern. Und was ist letztendlich daraus geworden? 

Weiß wie der Tod der stumme Redner

 Maria Happel als 'Die Alte' und Michael Maertens als 'Der Alte'
Maria Happel als 'Die Alte' und Michael Maertens als 'Der Alte'APA/GEORG HOCHMUTH

Eine grandiose Abschiedssinfonie, in der alle diese Stühle am Ende leer bleiben, in der zwei hohe Leitern ins Nichts führen, in der zwei wunderbaren Schauspielern Raum zur Entfaltung all ihrer Kunst und Kunstfertigkeit gegeben wird. Ideal ergänzen sich Happel und Michael Maertens (der Alte), als Draufgabe sieht man im Finale ein kleines Satyrspiel von Mavie Hörbiger. Lächerlich schnurrbärtig, hell gekleidet wie der Tod, mit langem Mantel und Hut, erscheint sie als der zuvor mehrfach angesagte Redner. Erst schweigt sie lang, bringt dann nur ein Stammeln hervor, um schließlich mit Kreide unverständliche Zeichen an Türen und auf Stühle zu schreiben. Ein Wort ergibt beinahe Sinn: „Engelbrot“. Als die Stühle umstürzen, sind „ADIEU“ und „APA“ zu erkennen.

Was ist zuvor geschehen? Der Vorhang fällt, man sieht erneut eine Leiter, auf der hoch oben der Alte steht. Er blickt offenbar aufs Meer, zu den Booten, sagt er. Möwen sind zu hören. Unten tritt die Alte ins Zentrum und schnippt mit beiläufiger Gebärde – ein kleiner Luster leuchtet auf. Sie will, dass ihr Mann heruntersteigt. Zögernd und unter großen Mühen macht er das dann auch. Dieses hinfällige Paar einer tragischen Farce benimmt sich in den nächsten eineinhalb Stunden so, als erwarte es eine große Zahl an Gästen. Es sind die Geister der Vergangenheit, die anläuten. Die Unsichtbaren werden durch leere Türen hereingebeten, hektisch schaffen die Gastgeber Stühle herbei, machen Small Talk, bis die Bühne vollgestellt ist. Dann und wann ein paar Takte Musik aus alter Zeit. Wird das nicht langweilig? Aber nein! Happel und Maertens verstehen es fantastisch, eine Welt entstehen zu lassen.


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