Mette Ingvartsen erforscht in „69 Positions“ sexuelle Performances seit den 1960ern. Ein entwaffnendes, kluges Solo.
Wie intim können ein entblößter Körper, eine erotische Handlung, eine sexuelle Orgie sein, wenn sie öffentlich gezeigt werden? Wann ist Nacktheit privat? Wann ist sie politisch relevant? Diese Fragen stellt sich Mette Ingvartsen in „69 Positions“ – und ist dafür in den Archiven u. a. auf „Meat Joy“ der kürzlich verstorbenen Carolee Schneemann gestoßen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren mit ihren künstlerischen Grenzüberschreitungen und Tabubrüchen den gesellschaftlichen Diskurs über Körperlichkeit, Sexualität und Geschlechterrollen befeuert hat. Ingvartsen erzählt erst von „Meat Joy“ – als wollte sie das Publikum behutsam vorbereiten. Dann zeigt sie vor, wie sich die Performerinnen auf dem Boden gewälzt, wie sie gezuckt haben, wenn sie mit toten Fischen beworfen wurden und wie sie mit klebriger schwarzer Flüssigkeit bestrichen wurden – geteert und gefedert wie im Mittelalter. In einer kurzen Videosequenz hört man dazu im Kontrast eine fröhliche Sixties-Schnulze.
Ingvartsen startet ihre (englischsprachige) Führung (tatsächlich wurde im Odeon ein kleiner Ausstellungssaal aufgebaut, in dem sich alles abspielt) bei den experimentellen Performances der 1960er-Jahre, sie erinnert an Verbote, Tabus, Verhaftungen, lässt sich von Marquis de Sade inspirieren und landet in einer futuristisch anmutenden Gegenwart (wenn sie demonstriert, dass Testosteron-Gel so geil macht, dass man sogar mit einer Lampe Sex haben möchte).
Auch ihre eigenen Stücke schaut sie sich noch einmal genauer an: Für „Manual Focus“ setzt sie sich die Maske eines alten Mannes auf den Hinterkopf und bewegt sich nackt durch die Umstehenden, als wäre sie ein außerirdisches Wesen mit eigenartig verdrehten Gelenken. In „50/50“ wirkt ihr nackter Körper mit roter Perücke und Turnschuhen wie eine Kunstfigur. Ingvartsen bittet die Zuschauer, sie für eine Bonding-Sequenz mit Klebeband zu verpacken. Sie lässt vier Personen (sehr amüsant!) eine Sexszene intonieren – Orgasmus inklusive. Oft ist man eingeladen, in sich selbst hineinzuhorchen: Wie kommt das bei mir an? Was denke ich darüber? Manchmal darf man mitmachen (Ingvartsen fragt dann freundlich um Erlaubnis) – und fühlt sich komisch, obwohl man im Gegensatz zum Gegenüber angezogen ist. Vor allem ist „69 Positions“ eines: das entwaffnende Solo einer starken, selbstbewussten, klugen und humorvollen Frau.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2019)