Wiener Festwochen: Eine geile, verlogene Mörderbande

(c) ORF (Arno Declair)
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„Rechnitz“ von Elfriede Jelinek ist einer der Höhepunkte der Wiener Festwochen – die bitterböse Suche nach der Wahrheit über ein Massaker der Nazis.

Dieses gekünstelte Lächeln und Winken, das man von seichter Prominenz auf roten Teppichen kennt, ist an sich schon unangenehm. Bei „Rechnitz“ aber, diesen furiosen Wortkaskaden von Elfriede Jelinek, die ein lange Zeit verdrängtes Verbrechen der Nazizeit umkreisen, wird das Society-Verhalten der fünf Hauptdarsteller zur Obszönität.

Das Ensemble von den Münchner Kammerspielen (Hildegard Schmahl, Katja Bürkle, André Jung, Hans Kremer und Steven Scharf, alle großartig) betritt zu swingenden Musikmotiven aus dem „Freischütz“ die Bühne des Theaters Akzent, lächelt und winkt. Die Damen und Herren sind elegant gekleidet, offensichtlich also noch die Herrschaft, sie werden sich später in die Diener verwandeln, aber das gespielt Freundliche und Feine passt gar nicht zum Thema, denn diese fünf Personen sind Boten eines Massakers, das kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen ist.

Das Massengrab wird nicht gefunden

„Rechnitz“ handelt vom Massenmord der Nazis an 180 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, die zu schwach für den Weitertransport nach Mauthausen waren. Ihr Massengrab wurde bisher nicht gefunden. In dem burgenländischen Ort im Bezirk Oberwart direkt an der Grenze zu Ungarn ist diese Untat für die meisten Bewohner bis heute ein Tabu. Bei Jelinek aber wird dieser Mord im Textrausch umkreist, bei ihr kommen die namenlosen Opfer zur Sprache, durch die entlarvenden Erklärungsversuche der Täter, der Mitläufer. Man kennt diesen Jargon der Verharmlosung, der nur für Sekunden die Fratze des Faschismus aufblitzen lässt, genau.

Das Fest der Nazis

Regisseur Jossi Wieler hat mit seiner stark gekürzten, zweistündigen Version von „Rechnitz“ eine beeindruckende, konzise Inszenierung geliefert, er bietet eine in ihrer Kälte erschütternde Darstellung, die am Samstag bei den Festwochen ihre Erstaufführung in Wien hatte. (Elfriede Jelinek hat eine Ausnahme gemacht; ihr 2008 an den Münchner Kammerspielen von Wieler uraufgeführtes Drama, das ursprünglich als Auftragswerk Buñuels Film „Der Würgeengel“ bearbeiten sollte, hat laut Programm eigentlich Österreich-Verbot.) Nun kann man hier einen der bisherigen Höhepunkte der Wiener Festwochen sehen.

Jelineks Text wurde von Wieler auf ein Drittel gekürzt, er spielt die damaligen Ereignisse auf dem Schloss der Batthyánys nach, enthüllt die Lügen, bricht das Schweigen durch Darstellung der Banalität des Bösen. In der Nacht auf den 25.März 1945 gab es in Rechnitz ein Fest der Nazis, bei dem auch die Schlossbesitzer zugegen gewesen sein sollen, von dem mehr als ein Dutzend Teilnehmer zu den Morden abberufen wurden. Die Autorin lässt die Gräfin, eine geborene Thyssen, als Mittäterin erscheinen, jedenfalls suggerieren das die Botenberichte. Historisch ist das nicht erwiesen, künstlerisch effektvoll. Dass die Reichen, die Herrschenden Täter sind, ist bei Jelinek nicht verwunderlich, es gibt diesem Drama Wucht. Die Mächtigen und ihre Mitläufer, eine geile, berechnende Bande, kommen entlarvend zu Wort, die Opfer sind stumm. Aber durch Jelinek haben sie doch eine Stimme, eine wütende, anklagende.

Gespielt wird in einem fast leeren Raum (Bühne: Anja Rabes), über dem ein Hirschgeweih hängt; eine Reihe braun furnierter Türen, mit roten Klappsitzen und Kopfhörern, ein Kanaldeckel, in den Essensreste, Leichenreste, gestopft werden. Die Türen werden sich später öffnen, dann sieht man einen Schießstand. Die Gesellschaft gibt Gewehre aus, bietet sie auch dem Publikum freundlich an. Man kann schließlich wählen, ob man Opfer oder Täter wird. Es knallt. Ein Schützenfest. Das Feuer auf den Saal ist eröffnet.

JELINEK UND WIELER

„Rechnitz“ ist die sechste Inszenierung eines Stückes von Elfriede Jelinek (*1946) durch den Schweizer Jossi Wieler (*1951). Seine Arbeit an ihren Stücken begann mit der Hamburger Uraufführung von „Wolken. Heim“, die 1994 Aufführung des Jahres war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2010)

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