Allerort gilt das Wort: Wiener Blut!

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Die Wiener FPÖ wirbt derzeit mit "Mehr Mut für unser 'Wiener Blut'. Zu viel Fremdes tut niemandem gut". Was kann uns dieser Slogan sagen? Was sagt die Operette?

Ach, Ihnen fehlte, ich wusst' es zu gut“, singt die Gräfin. „Ja, was denn?“ fragt der Graf. „Das Wiener Blut!“ ruft sie. Dieses Manko hat die Ehe belastet: Sie ist „ein echtes Wiener Blut“; er ist Gesandter von Reuß-Greiz-Schleiz – das die Librettisten der Strauss-Operette nicht erfunden haben: Die verschlungenen Wege des Fürstenhauses Reuß sind eine Tour de Force für Genealogen.

Schließt seine thüringische Herkunft den Grafen lebenslänglich von den Hitzen des Wiener Bluts aus? Aber nein! „Sie haben ja ganz Reuß-Schleiz-Greiz vergessen“, bemerkt die Gräfin: „Und leben, sagt man, ,mit Maitressen!‘“ So arg habe er es nicht getrieben, erwidert der Graf, gesteht aber: „Ich ward ein Wiener Blut.“

Lektion: Das Wiener Blut kann man sich aneignen, es ist nicht genetisch determiniert, kein Erbgut, es ist ein Kulturgut wie der Walzer und der Heurige, in denen es sich äußert. So widerspricht diese 1899 uraufgeführte Operette rassistischen Theorien; seltsamerweise merkten die Nazis das nicht und zeichneten die Verfilmung von Willi Forst (1942) sogar aus.

„Mischung der Rassen und Arten ist Sünde wider das Blut und führt zum Verderben. Blutschande hat die Völker der Erde vernichtet“, erklärte eine Broschüre des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes bereits 1920. Die Verbildlichung der Mischung von „Rassen“ als Mischung des Blutes ist kein exklusiver Wahn des Nationalsozialismus. Die Pferdezüchter nennen bis heute eine Kreuzung aus einem „Vollblut“ (das ist ein Pferd, das von Araberpferden abstammt) und einer anderen Pferderasse ein „Halbblut“; in den Harry-Potter-Romanen ist ein „half-blood“ das Kind eines Zauberers (oder einer Hexe) und eines Muggels (nicht magisch begabten Menschen), ein „mud-blood“ stammt nur von Muggeln ab. Und noch in den Fünfzigerjahren wurden Kinder eines afroamerikanischen US-Soldaten und einer Europäerin „Halbblut“ genannt.

Offenbar steht das Blut sinnbildlich für eine andere Substanz: die DNA, für die tatsächlich gilt, was z.B. Oswald Spengler über das Blut raunte: „Das Blut der Ahnen fließt durch die Kette der Geschlechter und verbindet sie zu einem großen Zusammenhange des Schicksals, des Taktes und der Zeit.“ Den Fluss der DNA und ihrer Gene von Generation zu Generation beschwört etwa der streitbare Darwinist Richard Dawkins gern, ein Buch nannte er gar „River out of Eden“.

Sexualität läuft digital

Doch die metaphorische Gleichsetzung von Blut und DNA passt nicht. Die sexuelle Fortpflanzung ist keine Vermischung; sie funktioniert nicht analog, sondern digital. Gene werden nicht vermischt, sondern kombiniert. Wenn der Vater ein Gen in der Version 1 hat und die Mutter in der Version 0, dann hat das Kind nicht die Version 1/2, sondern entweder 0 oder 1. Wäre es anders, dürfte es längst keine Blau- und Braunäugigen, sondern nur mehr Grauäugige geben, ja nicht einmal Männer und Frauen, nur noch Zwitter. Das heißt nicht, dass sich genetisch determinierte Eigenschaften gar nicht mischen können: Schließlich werden die meisten Eigenschaften durch mehrere Gene geprägt.

Genau durch die digitale Natur der Fortpflanzung können Genetiker den Weg von Genen durch die Generationen verfolgen. Im Prinzip wäre es wohl möglich, z.B. in der heutigen Bevölkerung Wiens genetische Spuren zu suchen, die die tschechische Einwanderung um 1900 hinterlassen hat; ein Blick ins Telefonbuch reicht aber auch. (Familiennamen verhalten sich auch digital, aus Meyer und Travnicek wird weder Meyricek noch Trayer). Dass solche Forschung in Deutschland und Österreich – im Gegensatz etwa zu den USA oder Israel – heute kaum betrieben wird, liegt gewiss (und verständlicherweise) auch an der Erinnerung an den Rassenwahn des NS-Regimes, der ja mit pseudogenetischen Argumenten arbeitete.

Wie schwammig diese Pseudowissenschaft war, illustriert der Begriff „Blutschande“, der leider heute noch im österreichischen Strafgesetzbuch (§ 211) vorkommt – freilich nur in einer seiner beiden einander widersprechenden Bedeutungen: als Sexualverkehr zwischen nahen Verwandten. In der NS-Terminologie bedeutete Blutschande aber auch den Verkehr zwischen Angehörigen unterschiedlicher „Rassen“. Das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verbot 1935 Ehe und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2010)

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