Theaterskandal: "Hamlet" und eine "Überdosis Sarrazin"

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Ausschnitt aus "Hamlet" in der Bearbeitung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel am Thalia-Theater.(c) Dpa/APA (Markus Scholz)
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Schlagabtausch zwischen dem Hamburger Thalia-Theater-Intendanten Joachim Lux und einem Kritiker der "Welt". Droht eine neue Eskalation zwischen Rezensenten und Künstlern?

"Hamlet für Blöde: Wenn der Muezzin jodelt", unter diesem Titel erschien vergangene Woche in der "Welt" der Verriss der heurigen Eröffnungspremiere im Hamburger Thalia Theater. Autor Alan Posener, ein britisch-deutscher Journalist - im angelsächsischen Raum nennt man das deutsche Regietheater gern "Eurotrash" - konnte sich mit der Bearbeitung der Shakespeare-Tragödie von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel (Regie: Luk Perceval) überhaupt nicht anfreunden. Zaimoglu und Senkel hatten bereits mit ihrer "Othello"-Version für geräuschvolle Abgänge bei den Salzburger Festspielen im Landestheater gesorgt.

"Vor den politischen und religiösen Konsequenzen des Stückes büchst Perceval aus", schreibt Posener, "stattdessen vergewaltigt er 'Hamlet' so lange bis das Stück eine harmlose buddhistische Weltsicht verkündigt... darf man Shakespeare solche Gewalt antun? Es ist nicht verboten, leider. Malt ein dänischer Karikaturist eine mäßig lustige Mohammed-Karikatur, werden überall dänische Botschaften abgefackelt. Wird Shakespeare vergewaltigt, wird das artig beklatscht." Die mit reichlich religiösen Anspielungen gespickte Breitseite wollte Thalia-Theater-Intendant Joachim Lux - der früher Dramaturg am Wiener Burgtheater unter Klaus Bachler war - nicht auf sich sitzen lassen. In einem "Offenen Brief" an die "Welt"-Chefredaktion haut er zurück.

"An einer Überdosis Sarrazin" verschluckt?

"Vielleicht hat sich der Rezensent vor dem Besuch der 'Hamlet'-Premiere an einer Überdosis Sarrazin verschluckt. Seine Theaterkritik erfüllt nahezu oder tatsächlich den strafrechtlichen Tatbestand der Volksverhetzung und der Verunglimpfung anderer Religionen. Ein geistiger Brandstifter ist er allemal... Der Shakespeare-Bearbeiter Feridun Zaimoglu ist türkischsstämmig, also Moslem, also wahrscheinlich Islamist", so Lux weiter, "also lässt er den 'Muezzin jodeln' - Pointe: Muezzin kommt nicht vor, weder gejodelt noch sonst wie ..."

"Die Welt" legte auf den Lux-Brief Donnerstag noch ein Schäuferl nach: Unter dem Titel "Nicht satisfaktionsfähig" schreibt Cornelius Tittel: "Ausgerechnet Alan Posener als Vorbereiter einer neuen Kristallnacht hinzustellen - diese mit Bildungsferne gepaarte Dreistigkeit hätte man deutschen Theater-Intendanten nicht zugetraut." Posener hat jüdische Vorfahren. Nebstbei hat er eine Shakespeare-Monografie verfasst.

Schauspieler entriss Kritiker seine Notizen

Wie sehr an der Tagesordnung sind eigentlich solche Kontroversen bzw. Skandale rund um das gute, alte Theater? Was dürfen Kritiker? Dürfen Künstler zurück schlagen? "Theater heute" hatte vor einiger Zeit eine eigene Kolumne, in der Regisseure Rezensenten entgegnen durften - ungewöhnlich in einer Zeitung, die wie kaum eine andere, den unangreifbaren Status des Kritikers als brillantem Stilisten hoch hält. Der letzte "Theaterskandal" traf den brillantesten Zerstörer von allen: Gerhard Stadelmaier, Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dessen Buch "Parkett 6. Reihe Mitte: Meine Theatergeschichte" im August bei Zsolnay erschienen ist.

2006 wurde Stadelmaier im Theater in der Schmidtstraße (es gehört zum Frankfurter Schauspielhaus) vom Schauspieler Thomas Lawinky angegriffen. Bei Ionescos "Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes", einem Aktionstheater, bei dem Schauspieler auch im Publikum agierten, entriss Lawinky Stadelmaier seine Notizen. Stadelmaier ging ab und Lawinky rief ihm nach: "Hau ab du Arsch! Verpiss Dich!" Und forderte gar noch Solidarität des Publikums, das brav klatschte. Stadelmaier reagierte, wie es seine Art ist, geharnischt. Der Vorfall sei eine beispiellose Frechheit, noch nie habe er sich in seinem 30-jährigen Kritiker-Leben "so beschmutzt, erniedrigt und beleidigt" gefühlt. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sprang seinem Star-Feuilletonisten bei, der Schauspieler wurde entlassen. Das Burgtheater nahm ihn auf, er spielte u. a. in "Pool" von Mark Ravenhill und in den "Brüdern Karamasow" (Regie: Stemann) im Akademietheater.

"Verrisse werden am liebsten gelesen"

"Kritiken sind subjektiv", sagt die Doyenne der Theaterkritik, Karin Kathrein, "je subjektiver desto besser", pflichtet ihr Kollege C. Bernd Sucher bei, der lang Kritiken für die "Süddeutsche Zeitung" schrieb und nun an der Bayerischen Theaterakademie Kulturkritik unterrichtet. Am Burgtheater ist Sucher mit seiner Reihe "Suchers Leidenschaften" (diese Saison spricht er über Brecht, am 13. 10. im Akademietheater, über Schiller und Botho Strauß) ein gern gesehener Gast. "Ja, der Intendant darf sich aufregen", auch darin sind sich Kathrein und Sucher einig. "Den Brief an den Chefredakteur finde ich allerdings ziemlich unnotwendig. Ich finde, ein Intendant oder Direktor sollte sich mit dem Kritiker selber auseinander setzen", erklärt Kathrein. Sie glaubt nicht, dass sich das Verhältnis zwischen Künstlern, Theaterchefs einerseits und Rezensenten andererseits verschärft hat: „Das hat es doch immer gegeben." Ebenso wie Intendanten, die dem Kritiker vor der Premiere geflüstert haben, dass "es wieder mal ganz grässlich werde", erinnert sich Kathrein, "das ist dann auch wieder seltsam."

Die Leute lesen am liebsten Verrisse, ist sie überzeugt, und die Kollegen am Theater oft auch, Schadenfreude ist die reinste Freude. So niederschmetternd wie in früheren Zeiten sind Kritiken aber nicht mehr, sagt Kathrein: "Hans Weigel hat einmal geschrieben, der Soundso spielt seine Rolle in Grund und Boden, dort findet er seinen Kollegen Soundso. Über so was lacht man natürlich, aber es ist schon sehr schlimm."

Geplante Skandale funktionieren am besten

"Respekt vor dem Künstler und dem Theater", fordert Sucher. Das versucht er auch seinen Studenten beizubringen. "Die Kritiker nehmen das Theater nicht mehr so ernst wie früher, sie haben auch weniger Platz. Ich hatte 400 Zeilen, heute gibt es höchstens 200. Da bleibt dann oft nur die Verknappung: Daumen rauf, Daumen runter. Verrisse zu schreiben, ist das Einfachste. Das ist wie mit Liebe und Hass. Es ist leichter zu hassen als zu lieben." Kritiken werden allerdings nicht für die Theater geschrieben, sondern für das Publikum, so Sucher.

"Geplante Skandale gehen immer schief", erklärte einer der Theaterskandal-Meister, Claus Peymann, 2007 in der "Welt". Gerade bei ihm hatte man oft den Eindruck, das Gegenteil sei wahr: Geplante Skandale funktionieren am besten. Auf jeden Fall kommen Theaterskandale immer wieder vor. Früher wurden sie durch ästhetische Irritationen oder Revolutionen ausgelöst, heute geht es oft mehr um Politik. Eine kleine Auswahl: Bei der Uraufführung von Victor Hugos "Hernani" prügelten sich 1830 die Freunde des klassischen Theaters mit den aufstrebenden Romantikern in der ehrwürdigen Comédie Française. Den Parisern war 1913 Strawinskys "Sacre de Printemps" entschieden zu viel, den Wienern und Berlinern 1921 Schnitzlers obszöner "Reigen". Kontroversen wegen antisemitischer Tendenz gab es 1985 um Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod".

Links

"Hamlet für Blöde: Wenn der Muezzin jodelt" von Alan Posener, erschienen in der "Welt" am 20.09.2010

Den Offenen Brief von Joachim Lux an die "Welt" können Sie hier nachlesen.

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