Bert Brecht ist nicht mehr der Jüngste

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Michael Thalheimer, als großer Neuerer des Theaters bekannt, inszeniert mit einer exzellenten Besetzung "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Das Stück macht sich wichtig in puncto Wirtschaft, ist aber angegraut.

Wenn im Burgtheater für den Kommunismus geworben wird, dann geht es, nein, nicht um Provokation, sondern um die böse Börse. In den 1920er-Jahren entwarf Brecht seine „Heilige Johanna der Schlachthöfe“, eine Paraphrase auf Schiller und Jeanne d'Arc in poetischer Hochsprache. Die Story: Heilsarmee-Mädchen Johanna versucht Fleischunternehmer Mauler und die Welt zu verbessern.

Michael Thalheimer, seit Jahren in Deutschland als einer der großen Neuerer des Theaters bekannt – am Burgtheater zeigte er seinen Berliner „Faust“ als Gastspiel –, beherrscht eines souverän: die große Bühne. Er füllt sie mit Action von der ersten bis zur letzten Minute der mit Pause fast drei Stunden langen Aufführung. Für Thalheimer ist das lang. Seine krassen Klassiker-Kürzungen haben ihn berühmt gemacht. Seine Burgtheater-Inszenierung legt er episch an. Bei allem Können – zu episch.

Brecht hat wohl mehr Sinn für das Wirtschaftliche als viele anderen Autoren. Auch seine pointierten Diagnosen treffen teilweise zu. Aber letztlich ist seine Sicht doch eindimensional und schematisch, von heutigen Realitäten allzu weit entfernt. Schon das Symbol Fleisch, Tier-, Menschenfleisch, wirkt altertümlich. Obwohl Thalheimer gewiss den Text gründlich durchackern und erforschen ließ, bleibt manches unklar – und was man versteht, ist oft banal: Kapitalismus und Kirche sind schlecht, Kommunismus ist die Lösung. Das ist so überholt, dass es nicht einmal mehr ärgerlich ist.

Dabei ist die prinzipielle Idee richtig: Wirtschaft auf die Bühne, Wirtschaft auf die große Bühne – inszeniert von erstklassigen Regisseuren –, aber beschrieben auch von Autoren, die der Gegenwart näher sind. Bei der Fülle guter zeitgenössischer Texte sollte es nicht schwierig sein, jemanden zu finden, der sich originell beschäftigt mit dem, was unsere Welt im Innersten zusammenhält.

Hauptdarsteller Frick und Nest brillieren

Zwei Menschen tragen die Aufführung: Die erneut hinreißende Sarah Viktoria Frick schafft es, Thalheimers kühle Tableaux mit Wärme, Blut und Leben zu erfüllen. Diese Johanna vollzieht glaubwürdig ihren Weg vom frischen Mädchen, das fest entschlossen ist, mit Gottes Hilfe die Welt aus den Angeln zu heben, zur sterbenskranken Gescheiterten, die erst heilig gesprochen und dann von der Mitwelt erleichtert verscharrt wird. Tilo Nest hat den schwereren Part: Was in Pierpont Mauler steckt, ist nicht so sonnenklar wie bei Johanna. Thalheimer hat sich für einen Schwerpunkt beim Zynismus entschieden, den dieser Spekulant auch hat.

Nest blättert diese Figur mit einem unglaublichen gestischen Reichtum auf, von dem insbesondere der Tanz in Erinnerung bleibt, den er vollführt, wenn er ein Risiko eingehen muss, sicher ist, dass er es will, aber ein bisschen Angst davor hat. So originell und treffend ward selten eine Figur aus der angeblich nüchternen Wirtschaft illustriert. Dieser plumpe, hässliche Kerl, der zeitweise verschlagen phlegmatisch, bauernschlau wirkt, kann eine starke, seelische, ja sogar emotionale Energie entfalten. Es ist eine Freude, dieser Figur zuzusehen. Circa 40 Personen bilden den von Marcus Crome perfekt einstudierten Chor. Regina Fritsch verbreitet markerschütterndes Elend als Arbeiterfrau, André Meyer beeindruckt als verstümmelter Arbeiter. Oliver Masucci und Roland Koch spielen die Fleischfabrikanten, Opfer Maulers: zu klischeehaft grotesk und über Gebühr geschwätzig. Thomas Reisinger bekommt einige (etwas billige) Lacher als komischer Heilsarmee-Major, dem seine Organisation wichtiger ist als seine Mission.

Olaf Altmann baute das nicht sonderlich originelle, aber stimmige Bühnenbild: einen grauen Bunker mit flimmernden Börsen-Displays. Musiker Bert Wrede lässt Orgeln und Janice Joplin mit „Cry Baby“ ohrenbetäubend lärmen. Manche Besucher hielten sich bei der Premiere die Ohren zu. Insgesamt: ordentliche Aufführung, museales Stück. Brecht ist nicht mehr der Jüngste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2010)

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