Lebensbeichte, die sich zum Tanz auswächst

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"Life and Times - Episode 2" im Kasino am Schwarzenbergplatz: Aus einem Telefongespräch wuchert Pubertät. Der Zauber von Teil eins aus dem vorigem Jahr wird nicht nur wiederholt, sondern sogar übertroffen.

Es gibt Theaterabende, die ein Geheimnis bewahren. Die Uraufführung des „Nature Theater of Oklahoma“ an diesem Freitag im Kasino am Schwarzenbergplatz gehört zu solch seltenen Ereignissen. Kelly Copper und Pavol Liska, die Gründer dieses Off-Theaters aus New York, haben den zweiten Teil ihres Großprojektes „Life and Times“ inszeniert und den Zauber von Teil eins aus dem Vorjahr nicht nur wiederholt, sondern sogar übertroffen. Hier wird mit Pathos und Leidenschaft gespielt, mit kleinen Gesten gearbeitet, voll heiligem Ernst, sodass man schließlich nach zwei Stunden sagen kann: Ja, so war es wirklich, unser Leben vor zwanzig, dreißig Jahren.

Das Geheimnis dieses Naturtheaters: Es wertet ein gewöhnliches Leben in allen Schattierungen und Nuancen auf der Bühne aus. Insgesamt 16 Stunden lang haben Copper und Liska zu Beginn des Projektes mit Ensemblemitglied Kristin Worrall telefoniert. Aus den Aufzeichnungen der damals 34-Jährigen soll ohne viel Kürzung und Korrektur eine Art Epos des modernen Lebens werden, einer fiktiven Julie. Teil eins beschäftigte sich mit den ersten Erinnerungen des Mädchens irgendwo in Amerika bis zum achten Lebensjahr. Dreieinhalb Stunden dauerte 2009 die szenische Umsetzung dieser Episode, die 2010 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war und von „Theater heute“ zum ausländischen Stück des Jahres gewählt wurde.

Bereit für die High School. Teil zwei könnte den Erfolg wiederholen. Worralls Erinnerungen verlaufen nach denselben Mustern der freien Assoziation, aber die Umsetzung auf der Bühne mit mehr Tanzelementen und kongenialer Musik aus den Achtzigerjahren wirkt konziser, schöner, einfach bezaubernd. Julie geht jetzt in die dritte Klasse Grundschule, sie wird vom Publikum bis zur High School begleitet, bis in ihr 14. Jahr.

Aber dieses Mädchen hat nicht eine Stimme, sondern viele. Auf das große, leere, lackschwarze Podest in der Mitte des Kasinos treten sechs Darsteller in grellen Trainingsanzügen, die nicht nur drei Streifen, sondern in der Herzgegend ein irritierendes schwarzes Rechteck aufgenäht haben. Vier herzhafte Schauspieler vom Nature Theater, die konzis spielende Sabine Haupt vom Burgtheater, die fantastische Tänzerin Fumiyo Ikeda vom flämischen Ensemble Rosas verkörpern die Erzählerin. Sie werden zuweilen von Kollegen und Komparsen des Burgtheaters ergänzt. Dann gibt es rhythmische Gymnastik mit gelben Ringen, Kunstnebel bei Verbotenem oder gar Konfetti nach Erfolgen.


Das Unsagbare – der Tod. Die Anerkennung ist wichtig für ein Mädchen, das in die Pubertät kommt. Freundschaft, Gruppenbildung, erste Küsse, Buben, die unheimliche Sexualität der Erwachsenen, aber auch schon Unsagbares wie der Tod, Ferienerlebnisse und immer wieder die kleinen Siege und bösen Niederlagen in der Schule prägen diese Erzählungen, die in den besten Momenten zum großen Gesang werden, zum Hymnos, wenn alle in lebensbejahende Nostalgie einstimmen.

Das Monotone der Erzählung, die fast mechanische Rhythmik, wird geschickt durch verstohlene Blicke, ungewöhnliche Tanzschritte, grandiose Auftritte unterbrochen, auch die zeittypische Musik verleiht dieser Aufführung einen unverwechselbaren Charakter. Und ein Wort wird sich der für diese bizarre Show geneigte Zuseher noch Jahre aus diesem Singsang merken, es ist Konjunktion und Disjunktion in einem; immer wenn eine Sequenz der Erzählung zu Ende geht, wenn sich ein Wechsel abzeichnet oder Ratlosigkeit einsetzt, sagen die Erzähler: „umm“ oder „and ummmm“. Denn das gewöhnliche Leben wehrt sich gegen Erklärungsversuche. Es bleibt – umm – ein Rätsel, auch in der Kunst.


Konzept: Kelly Copper & Pavol Liska; Ausstattung: Peter Nigrini. Darsteller: Elisabeth Conner, Anne Gridley, Sabine Haupt, Fumiyo Ikeda. Musik: Julie LaMendola, Robert M. Johanson;

Weitere Termine im Kasino am Schwarzenbergplatz: 7., 8., 10., 12., 14., 15., 16., 18., 20., 21. November.

norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2010)

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