Thomas Bernhard: "Einfach kompliziert"

Akademietheater Einfach genial gespielt
Akademietheater Einfach genial gespielt(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Zwei Altmeister gratulieren einem alten Meister zum 80. Geburtstag: Regisseur Claus Peymann ehrt mit einem Solo von Gert Voss die Kunst des Thomas Bernhard. Ein Triumph.

Wie wohnt ein greiser Schauspielkönig? Nachdem ein hauchdünner schwarzer Vorhang von der Bühne geschwebt ist, ist der Blick auf ein seltsames Zimmer frei, das Karl-Ernst Herrmann auf einem Viertelsektor eines Kreises eingerichtet hat: Risse in der weißen Decke, abgeblättertes Gelb und Türkis an den Wänden, hinten ein spartanisches Bett, eine Truhe, links eine surreal schiefe Tür, ein Schwalbennest, rechts ein großes Fenster, ein kleiner Kühlschrank, Mülleimer, vorne ein altes Spulentonband, in der Mitte ein kleiner Tisch, Sessel und Lampe. Kurz: abgewohnte, ekelhafte, fast völlige Einsamkeit.

Nicht zu vergessen ein Spiegel weiter hinten. Ohne Spiegel keine Schauspielkunst, ohne Spiegel kein Ausnahmekünstler, und da kniet er schon, vorne links, der Großschauspieler in schwarzer Hose, schwarzer Jacke, schwarzen Filzpantoffeln und verräterisch närrischen orangeroten Socken, der Clown-König, der vom großen Gert Voss gespielt wird, und hämmert einen Nagel in die hohe schwarze Bodenleiste, damit die Mäuse nicht reinkönnen.

Denn auf der Bühne ist Platz nur für einen. Gerade noch ein neunjähriges Mädchen (Viktoria Niebauer) wird er dulden. Zweimal die Woche bringt sie ihm Milch, die er nicht mag. Er schüttet sie anschließend weg, er will nur das Kind sehen: „Kein Mensch außer dir hat mehr Zutritt zu mir“, verrät er Katharina, die so heißt wie seine vor zwanzig Jahren verstorbene Frau, und das ist tragisch rührend: „Nicht ein Einziger.“

Bis auf dieses Intermezzo in der zweiten von drei Szenen ist Thomas Bernhards spätes Drama „Einfach kompliziert“ ein ausufernder Monolog über die Kunst, das Alter, die Einsamkeit. Es ist Morgen, es wird Mittag und Abend an diesem Tag im Ruhestand eines Mimen kurz vor der Auslöschung.

Immer an Minetti zu messen

Der 1989 verstorbene Dichter hat das Stück dem Schauspieler Bernhard Minetti zugeeignet. Mit ihm in der Hauptrolle wurde es am 28.Februar 1986 in der Regie von Klaus André am Berliner Schillertheater uraufgeführt. An diesem Ereignis müssen sich alle künftigen Inszenierungen messen lassen. Wehe dem Darsteller, der bei dieser eigenartigen, hochmusikalischen Gedankenmelange Schwächen zeigt!

Am 12.Februar, drei Tage nach dem 80.Geburtstag Bernhards, hat nun Claus Peymann am Wiener Akademietheater seine Inszenierung präsentiert, der ehemalige Burgtheater-Direktor wird diese Kooperationsarbeit ab 17.Februar auch in seinem Berliner Ensemble zeigen. Und das ist gut so, denn diese Aufführung ist ein Triumph; Peymann, der die meisten Uraufführungen der Stücke Bernhards inszeniert hat, beweist auch an diesem schwierigen Kammerspiel, wie sensibel er mit dessen Sprachkunst umgeht, und Voss ist ein würdiger Erbe Minettis.

Was zeigt er uns nicht alles? Er krümmt sich, leidet, richtet sich auf, tänzelt über die Bühne, gurrt, streckt die Zunge raus, schnauft, erinnert sich an einstige Erfolge und deklamiert. Mitten im Satz, und zwar immer an der richtigen Stelle, ändert er schlagartig den Ton. Aus einem renitenten 82-Jährigen, der alle überlebt hat, wird dann für Momente ein Wissender, der sich an Shakespeare und Schopenhauer abarbeitet: „Das Geborenwerdenverbrechen ist nicht zu verzeihen.“

Aus der universalen Tischlade holt dieser Philosophen-Imitator Brot oder einen Zettel, auf den er „Mausgift kaufen“ schreibt, oder eine alte Fotografie von Schopenhauer, die er an die Wand nagelt, und schließlich auch noch ein Buch des Denkers, um ausgerechnet die lächerlichste Passage vorzulesen: „Sehr zarte Mütter bekommen oft schwergewichtige Säuglinge, das ist eine Tatsache.“ Was für ein Stumpfsinn!

Spiel mit dem Spiegelbild

Und was für ein Theaterfest, wenn der Schauspieler schließlich die Königskrone aufsetzt, die ihm die Stadt Duisburg zum 70.Geburtstag geschenkt hat. Er war am Stadttheater Richard III. (so wie Voss am Burgtheater). Er drückt die allzu schwere Krone runter, dass die Ohren schmerzen, kaum sieht er noch unter dem Rund heraus. Und er betrachtet sich im Spiegel mit einer Eitelkeit und Herrschsucht, die gar nicht mehr gespielt wirkt.

Ein großes Solo für Voss, makellos, eine herrlich zurückhaltende Inszenierung von Peymann, die den Schauspielerkönig gewähren und alle Facetten seiner Kunst zeigen lässt. Was bleibt? Es ist Nacht. Am Ende spult der Alte das Tonband zurück, hört verzückt zu, wie das Hämmern der Anfangsszene ertönt. Da capo al fine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2011)

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