"33 Variationen": Beethoven in der Vorhölle der Genies

Variationen Beethoven Vorhoelle Genies
Variationen Beethoven Vorhoelle Genies(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Erstaufführung im Volkstheater: Kaufmans »33 Variationen« über Kreativität, Krankheit und den "Urgrund der Dinge", von Stephanie Mohr unterhaltsam inszeniert.

Die große Bühne des Wiener Volkstheaters ist umrahmt von einem imposanten Gebäude wie aus Kaisers Zeiten, mit antikisierenden Säulen hinten und mächtigen Steinquadern (Ausstattung: Gary McCann). Im Hintergrund steht auch passend ein prächtiger Flügel, aber der Vordergrund bietet einen Kontrast: einen nüchternen Arbeitstisch mit modischen Sesseln und mit Türen zu Zweckräumen der Gegenwart.

Diese Teilung ist zwingend, denn das Drama „33 Variationen“ des Broadway-Autors Moisés Kaufman spielt auf zwei Zeitebenen, die in besonders intensiven Szenen bei dieser österreichischen Erstaufführung kunstvoll synchron zusammengeführtwerden. Stephanie Mohr ist eine sensible Inszenierung gelungen, in zweieinhalb Stunden wird das Publikum von einem gut abgestimmten Ensemble ergötzt und belehrt, ohne intellektuell überfordert oder gar zu sehr ermüdet zu werden.

Die Protagonisten des Stückes sind Dr. Katherine Brandt (Maria Bill), eine amerikanische Musikwissenschaftlerin, und Ludwig van Beethoven (Günter Franzmeier), über den sie forscht. Sie sind vereint in der Suche nach dem Schönen, aber auch im Leid. Beethoven ist völlig ertaubt, er arbeitet wie besessen an der Neunten Symphonie, der Missa Solemnis und Klaviervariationen, die diesem Stück den Namen geben.


Die Krankheit zum Tode. Brandt forscht über diese Variationen, sie weiß aber auch bereits, dass sie an amyotropher Lateralsklerose (ALS) zugrunde gehen wird. Das Rätsel, warum Beethoven zu einem einfachen Walzer des Musikverlegers Anton Diabelli (Erwin Ebenbauer) 33 raffinierte Variationen schrieb, wird Brandt bis zum Schluss beschäftigen. Und sie wird auch klarer die heikle Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter Clara erkennen (Andrea Bröderbauer), die einen weiteren Handlungsstrang einbringt; sie fängt eine Liebesgeschichte mit dem Krankenpfleger der Mutter an. Dieser Mike (Till Firit) begleitet Clara bei einer Reise nach Bonn, wo Katherine Brandt mit Hilfe der Bibliothekarin Ladenburger (Susa Meyer) der Entstehung der Variationen anhand der Originalmanuskripte nachspürt. Dabei sieht man diese Noten zuweilen auch als Schrift an der Wand.

Die Diabelli-Variationen, 1819 bis 1823 geschaffen, für Liebhaber des klassischen Geniekults ein Gustostück der Klaviermusik, sind neben Brandt und Beethoven der dritte Protagonist dieses Stücks. Akiko Yamada trägt aus ihnen kongenial am Flügel vor, einfühlsam und niemals aufdringlich. Zu Recht wird sie nach der Premiere am Freitag mindestens so stark umjubelt wie die gewohnten Publikumslieblinge.

In Kombination mit dem Text ergibt sich eine ergiebige Lehrstunde über das Wunder der Harmonie. Ein Höhepunkt: In einer Traumszene im Jenseits erklärt Beethoven der Wissenschaftlerin seine Musik, komponiert sie ihr sinnlich-praktisch ins Manuskript. Brandt weiß nun, warum dem von ihr vergötterten Komponisten das Wunder gelingt, „die Zeit zu verlangsamen.“ Wir erfahren von ihm auch, dass die großen Musiker – der Wolfgang, der Georg Friedrich und er – es vorgezogen haben,in die Vorhölle auszuweichen; weil ihnen der Himmel musikalisch zu langweilig war. Das provoziert Lacher. Die zweieinhalb Stunden leben zwar auch von stillen Momenten, in denen sich Bill richtig entfaltet, aber die historischen Szenen sind vor allem komödiantisch angelegt.


Karikatur eines Genies. Und das ist gut so, denn sonst verlöre sich dieses Kammerspiel in Tristesse. Für heiteren Kontrast ist das Trio prädestiniert. Marcello de Nardo spielt pointenreich Anton Schindler, den umtriebigen Sekretär des Meisters, der von Franzmeier in manchen Szenen wie die Karikatur eines Genies gegeben wird. Und Ebenbauer bereitet knochentrocken mit dem Ernst eines Geschäftsmannes, dessen einzige Schwäche neben dem Komponieren die Eitelkeit ist, eine Fülle von Gags vor. Menschlich, allzu menschlich wird hier der Titan, dessen zwei Bewunderer um seine Größe, aber auch um ihre eigene Beschränktheit in der Kreativität genau Bescheid wissen.

Im Vergleich zu diesen rasanten Szenen ist die Lovestory zwischen Clara und Mike harmloses Getändel, braves Bindeglied zur Tragödie der Mutter, die schließlich so wie Beethoven weiß, dass sie nie mehr hoffen kann. Da beginnt sie zu lachen, rührt dabei, ohne in melodramatische Übertreibung zu flüchten. Diese tapfere Exegetin trägt wesentlich zum Gelingen des schönen Abends bei.

Moisés Kaufmans Schauspiel „33 Variationen“ wurde von Boris Priebe und Bastian Häfner ins Deutsche übersetzt. Nächste Termine: 20., 21., 27. und 29. April, jeweils 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2011)

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