Jelinek: „Kein Licht“ nach Fukushima

(c) Schauspiel Köln / Klaus Lefebvre
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Mit der Uraufführung eines Stücks, mit dem die Schriftstellerin auf die Reaktorkatastrophe reagierte, startete das Schauspiel Köln in Karin Beiers fünfte Saison.

Mit Ruhm überschüttet und ans Deutsche Schauspielhaus Hamburg berufen: Karin Beier sonnt sich derzeit im Erfolg. Nicht nur wurde ihr Schauspiel Köln zum zweiten Mal in Folge von den Kritikern der Fachzeitschrift „Theater heute“ zum Theater des Jahres gewählt, mit der Jelinek-Trilogie „Das Werk/Im Bus/Ein Sturz“ hat sie auch zum zweiten Mal eine „Inszenierung des Jahres“ geliefert. Für diese wurde außerdem die Kölner Chefdramaturgin Rita Thiele zur Dramaturgin des Jahres gekürt. Dieses Dream-Team brachte nun einen politischen Abend auf die Bühne mit einer Collage, die den Zustand unserer Demokratie hinterfragt, und einer, allerdings rudimentären, Jelinek-Uraufführung.

„Orchesterprobe“

Eine Orchesterprobe: Der Dirigent spielt sich auf, die Musiker motzen und meutern. Als aber der Chef seinen Stab zur Verfügung stellt, will ihn keiner übernehmen; spielen können sie auch ohne ihn! Inspiriert von Fellinis Film „Die Orchesterprobe“ stellt „Demokratie in Abendstunden“ die Frage nach Macht, Demokratie und politischem Bewusstsein. Wieder einmal zeigt sich die große Stärke der Regisseurin Karin Beier: Sie kann abstrakte Themen anschaulich in sinnliche Vorgänge übersetzen.

Die Textcollage (von Karin Beier, Rita Thiele und Bettina Auer) zitiert Joseph Beuys, Thomas Bernhard, Oskar Negt und viele andere, aber im Gedächtnis bleiben vor allem die wunderbaren Schauspieler als eifrige oder müde, revoltierende oder resignierte Musiker im grauen Bühnenraum von Johannes Schütz. Es ist ein fensterloser Bunker, in den kein Licht, aber ein zunehmend bedrohliches Wummern eindringt. Besorgt lauschen die Künstler einen Moment lang, dann spielen und streiten sie weiter. Die angekündigte Katastrophe wird verdrängt.

Musikern gehören auch die Stimmen in Elfriede Jelineks neuem Text „Kein Licht“, den sie unter dem Eindruck des Reaktorunfalls von Fukushima verfasst hat. Die Katastrophe ist eingetreten, die Agierenden sind aus der Zeit gefallen, „Untote“, wie sie mehrfach im Werk der österreichischen Nobelpreisträgerin vorkommen. Sie spielen immer weiter, aber sie können ihre Musik nicht mehr hören: „Gekrümmt tasten unsere Finger auf dem Griffbrett herum, dort müssen sie sein, die Töne, so haben wir es gelernt, aber alles, was man hört, ist Geheul, Gebrüll, Stöhnen, Weinen, Schluchzen von Menschen, die um sich und um vieles andere besorgt sind.“

„Kakophonie“

Die Uraufführung verwendet nur einen kleinen Teil des Textes von Elfriede Jelinek und setzt den Schwerpunkt auf das Thema der verschwundenen Töne. Musik ist die verbindende Metapher der beiden Teile dieses nicht ganz gelungenen, aber anregenden Abends. In „Demokratie in Abendstunden“ ist sie auch konkret präsent in Kompositionen von John Cage, Arvo Pärt, Schubert und Richard Strauss, die der musikalische Leiter Jörg Gallosch souverän arrangiert und mit eigenen Stücken angereichert hat.

Eine „Kakophonie“, wie der Untertitel andeutet, ist das nur in dem Augenblick, da die Revolte auf der Bühne ins Chaos mündet, ansonsten ist es ein fein strukturiertes, humorvoll akzentuiertes Klanggeschehen. Umso spürbarer wird daher die Totenstille im zweiten Teil des Abends. „Kein Licht“ beginnt passenderweise im Dunkeln. Man hört nur ein Ticken, und langsam wird einem bewusst, dass dies nicht das Metronom aus der Orchesterprobe ist, sondern ein Geigerzähler, der die radioaktive Strahlung misst.

Die Spielzeiteröffnung am Schauspiel Köln zeigt allerdings auch, wie schwierig es ist, eine Katastrophe auf die Bühne zu bringen. Wie kann das Theater dem gerecht werden, was wir mit dem Namen „Fukushima“ verbinden: Zerstörung, schleichenden Tod, politisches Versagen, menschliches Leid? Karin Beier inszeniert ein Endspiel, in dem die „untoten“ Musiker als Clowns desorientiert umherirren und die Natur anklagen, die wieder so „übertrieben reagiert“ habe.

Zugleich streifen zwei Japanerinnen klagend auf der Suche nach Angehörigen durch den Raum. Eine wirkt wie ein kleines Mädchen, und wenn es eine Kerze vor dem Buddha-Altar anzündet, rückt das Bild gefährlich nahe an den Kitsch heran. Der wird jedoch im nächsten Moment gebrochen: Ein Fernsehteam stürzt sich auf das Kind und drängt es, bitte noch einmal so schön ins Telefon zu schluchzen.

Tod durch eine Tuba

Damit reflektiert das Theater selbst sein Scheitern im Umgang mit Katastrophenthemen. So ist es zwar theatralisch ein spannender Vorgang, wenn die Japanerin im Kampf mit dem Sousafon, dieser mächtigen Tuba, zu Tode kommt, aber gemessen an der Realität wirkt es banal. Selbstkritik findet sich auch im Text von Elfriede Jelinek. Mit ihren unhörbaren Musikern sind zwar die vergeblich warnenden Stimmen der Künstler gemeint, ebenso aber deren unverdrossenes „Weitermachen“: „Wir spielen. Was geschehen ist, wird man uns schon sagen, aber wir werden auch das nicht hören.“

Nächste Termine: 5., 9., 12., 15. und 30. Oktober; Jelineks „Das Werk/Im Bus/Ein Sturz“ steht ab 19. Oktober wieder auf dem Spielplan. www.schauspielkoeln.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)

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