"Gólgota Picnic": Gott, Tod, Teufel, Trash und Kunst

Glgota Picnic Gott Teufel
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Der Steirische Herbst lud eine bilderreiche argentinisch-spanische Christus-Performance ein: Drastisch.

Vor dem Grazer Orpheum protestierte Freitagabend ca. ein Dutzend Senioren mit Holzkreuzen, per Megafon wurde die Passion Christi rezitiert. Zielscheibe der seit Tagen geäußerten Kritik ist „Gólgota Picnic“, eine Performance von Rodrigo García, die der Steirische Herbst geladen hat. Der argentinische Performer (47), der seit 1986 in Madrid lebt, war 2008 bei Wiens Festwochen zu Gast.

In südlichen Landen werden zu hohen Feiertagen Prozessionen mit leibhaftig wirkenden sakralen Figuren durch die Straßen getragen, die wie eine Demonstration gegen die heidnischen Wurzeln wirken: Das dramatische Bannen des Bösen ist Teil des religiösen Lebens. Auf dieser Sitte basiert wohl auch „Gólgota Picnic“ – und natürlich auf diversen Kunstkonzepten der Moderne. Das Programm nennt viele Referenzen: bildende Künstler wie Bruce Nauman, Jenny Holzer, Paul McCarthy, Literaten wie Heiner Müller oder Thomas Bernhard. Bei ihnen allen hat sich García optisch, sprachlich, dramaturgisch bedient.


Shit-Kunst und Schimpftiraden.
Wer Bernhards Schimpftiraden, Müllers düstere Geschichtsbetrachtung kennt, „Complex Shit“ von McCarthy oder Jenny Holzers appellative Schriften, den wird hier nichts überraschen. Spuren führen wohl auch zu Arnulf Rainer, Bettina Rheims (die Gekreuzigte) oder Hermann Nitsch, dessen Orgien-Mysterien-Theater allerdings erdiger und auratischer funktioniert als dieser junge, freche Aktionismus. Wo Nitsch selbst als Priester amtiert, werfen die spanischen Jungs und Mädels, auf ihren Camping-Sesseln lümmelnd, quasi mit faulen Eiern.

Garcías Kunst ist nicht originell, aber sie hat ihre Eigenart: Das Faust-Schütteln gegen die mächtige Kirche seiner Hemisphäre. Die Performance ist reich, bilderreich, drastisch, grauslich, aber auch humorvoll. Die Grundthese ist, dass der gefallene Engel bei seinem Sturz auf die Erde feststellen muss, dass er den Menschen nichts mehr beibringen kann, sie sind schlimmer als Luzifer. Eine junge Frau taumelt auf einer Videoaufnahme mit einem ungeöffneten Fallschirm durch den Äther. García spielt mit der Kunstgeschichte als Propagandamaschine für die Kirche: bei Giotto, Rubens, Mantegna.

Ein Mann erleidet einen Autounfall, weil er sich zu sehr der sakralen Musik hingegeben hat, und während er im Feuer stirbt, flattern die Christus-Abbildungen an ihm vorbei. Die Zehn Gebote, die Worte Christi werden umgeschrieben: „Glaubt an Lügen, Verrat, Rivalität.“ „Wahrlich ich sage euch, wer keinen Humor hat, versteht das Leben nicht.“ Die Bühne ist mit McDonalds-Semmeln gepflastert, die herumfliegen und penetranten Verwesungsgeruch verbreiten, auch Weinflaschen fehlen nicht.


Symbole im Fleischwolf. Einer wird an den Bühnen-Boden genagelt (nur die Kleider). Fleisch wird durch den Fleischwolf gedreht. Auf Fleischlaberln erscheint: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aus Semmeln und Regenwürmern wird ein Turm von Babel gebaut. Ein rotblauer Farbregen ergießt sich aus Kanistern auf die Akteure, die Skulpturen formen.

Eine lange Passage handelt vom Tod, ein Grab ist gefüllt mit Zivilisationsmüll, jeder ist willkommen. Jesus selbst, in einer grauenhaft entstellten Maske, sagt sich von Interpreten, Evangelisten los. Garcia, der auch den Text schrieb, sieht ihn als Außenseiter, der seine gerechte Strafe erhielt.

Am Schluss der 130 Minuten langen, chaotischen, aber auch packenden und nachdenklich stimmenden Aufführung spielt Marino Formenti nackt und mit großer Emphase auf einem Bösendorfer-Flügel Haydns „Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuz“.

Das Publikum schien angetan. Gläubige, auch fern Stehende, dürften sich hier nicht wohl fühlen. Alle anderen aber haben sich wohl die Frage gestellt, ob zeitgenössische Kunst nicht manchmal mehr über die Kirche zu erzählen weiß als diese selbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2011)

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