Kušejs weites Land: eine Trümmerlandschaft

(c) Hans Jörg Michel
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Martin Kušej beginnt seine erste Saison als Direktor in München mit Arthur Schnitzlers Tragikomödie. Er inszeniert sie als düsteren Wiener Irrgarten – ohne Komik, ohne das für Schnitzler typische Schwebende.

Eine Trauergesellschaft im Nieselregen auf der Bühne des Münchner Residenztheaters. Mit dieser Einstellung beginnt Martin Kušej seine Inszenierung von Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ und zugleich auch seine erste Saison als Direktor. Was im Text beiläufig in der ersten Szene auf der Veranda der Villa Hofreiter im Gespräch zwischen der Hausherrin Genia und Mutter und Tochter Wahl erwähnt wird, steht bei Kušej als bedeutungsschweres, verregnetes Sittenbild am Anfang: Jemand wird zu Grabe getragen.
Bald erfahren wir, dass es ein Pianist war, der aus unerwiderter Liebe zu Genia Selbstmord begangen hat. Die Seele ist ein weites Land, und manche gehen dabei drauf. Schweigend nimmt eine gehobene Gesellschaft Abschied von einem der Ihren. Aus dem Off hört man dazu geschichtsphilosophische Betrachtungen. Das Stück in Kušejs Regie könnte in Wien vor dem Ersten Weltkrieg spielen, aber auch bei Ibsen, Strindberg oder Bergman. Spätbürgerliche Verzierungen wie etwa eilfertiges Personal fehlen. Auf jeden Fall wird ein nervöses Zeitalter besichtigt. Das klappt hier viel besser als in der Gangsterpersiflage von Alvis Hermanis derzeit am Burgtheater. („Das weite Land“ ist eben erst 100 Jahre alt geworden und wird zum Jubiläum wie damals sowohl in Wien als auch in München gegeben.)
Der simple Prolog ist typisch für Kušejs Inszenierung, er schafft eine dunkle Grundstimmung. Wuchtig bearbeitet er Schnitzlers Vierakter, schält das für ihn Relevante heraus. Martin Zehetgruber liefert dazu fantastische Bühnenbilder, die den Einstieg erleichtern: Für den Akt am Völser Weiher, bei dem sich der notorische Ehebrecher Hofreiter Frischfleisch holt, schuf er eine massiv wirkende Kletterwand. Die Hotelszenen sind in einer Trümmerlandschaft angesiedelt, winzig wirken die Menschlein mit ihrer Leidenschaft zum Verrat auf diesen Felsbrocken.

Hier wird abgerechnet!

Mit Klötzen kämpft auch die Regie. Betont wird das Tragische dieser Tragikomödie. Lachen dürften hier nur wenige. Die zwölf Mitglieder des Ensembles bewegen sich auf der großen Bühne weit ausholend, dann auch wieder künstliche Nähe suchend, wie in der Oper. Zwischen den Akten dröhnt Minimalmusik, oder es verklingt ein Klavier. Hier wird kein vor Hitze flirrendes „Weites Land“ geboten, sondern abgerechnet mit Leuten, die sich doch nur arrangieren wollen.
Und wieder weist ein klares Bild den Weg: Frau Wahl (Barbara Melzl) und ihre Tochter Erna (Britta Hammelstein spielt entzückend erfrischend) machen Genia (Juliane Köhler) auf deren schicker Holzveranda ihre Aufwartung. Frau Hofreiter steht ganz in Weiß an der Rampe, da tauchen die beiden Damen in Schwarz aus riesigen hängenden Grünpflanzen auf, die einen großen Teil der Bühne über die ganze Länge verdecken. Wien, das ist ein Dschungel der Gefühle. Die Damen und Herren, die in diesen Urwald abtauchen, zum Tennisspielen etwa oder zu anderen spontanen Körperaktivitäten, kommen leicht derangiert zurück, mit Ziegelstaub beschmutzt oder gar mit blutigen Knien. Es knirscht der Kies.

Genia hat den Charme eines Kühlschranks

Was treiben die da hinten? Das fragen sich wohl vor allem Genia, die hier den Charme eines Kühlschranks hat, und Doktor Franz Mauer (Markus Hering, ein Gewinn für München), der trübsinnige Freund des Fabrikanten Friedrich Hofreiter (Tobias Moretti). Mauer ist eindeutig nicht Part of the Game. Bei der Zuchtrute Genia ist man sich nicht so sicher, aber der Rest dieses Freundeskreises dürfte jedem Swingerclub Ehre machen. Auf einem Sofa in XXL sieht Frau Wahl mit schräger Frisur aus, als sei sie aus einem orgiastischen Klimt-Fries entliehen. Man gibt vor wegzusehen und sieht doch alles. Paradebeispiel dafür ist das Ehepaar Natter. Adele (Katharina Pichler), frisch getrennt von ihrem Gspusi Hofreiter, geht jungen Offizieren an die Wäsche, der Gatte (Gerhard Peilstein) ignoriert das demonstrativ.
Doch das sind nur Momente. Wunderbare Darsteller wie Eva Mattes als Frau Meinhold oder August Zirner als ihr Exgatte haben intensive, aber sparsame Auftritte. Beim Kürzen wurde das Drama auf das Ehepaar fokussiert. Vor allem für Moretti ist das günstig. Seine Interpretation eines Up-start-Fabrikanten ist intensiv, Mimik, Gestik und Melos stimmen. Dieser Mann hat kein Niveau, er ist eine armselige Ich-AG. Hofreiter trampelt auf den Gefühlen von Freunden, Gespielinnen und seiner Gattin herum, er ist ein Betrüger, der Genia zum Ehebruch ermuntert, um dann aus einer Laune, weil er nicht der Hopf sein will, den jungen Nebenbuhler Otto Aigner (Gunther Eckes) totschießt. Ein leichtes Zucken im Gesicht verrät, dass Hofreiter das Zeug zum Psychopathen hat.
Zur Verdeutlichung wird die vernichtende Aussprache zwischen den Eheleuten, in der Genia gleichermaßen der Treue und Untreue bezichtigt wird, zweimal gespielt – einmal als skandinavische Problemfilmversion von Angesicht zu Angesicht und dann als Mittsommernacht-Albtraum in Anwesenheit aller. In diesem Wiener Irrgarten scheint jeder alles zu wissen. Zumindest traut jeder jedem alles zu. Kušej hat diesen rätselhaften Reigen ohne allzu viele Experimente auf die Bühne gebracht, mit Respekt vor dem Text. Filigran wie die Meisterregisseure Andrea Breth oder Luc Bondy arbeitet er nicht, psychologisch einleuchtend schon. Aber es fehlt das für Schnitzler typische Schwebende. Vom neuen Ensemble ist dennoch viel zu erwarten, selbst wenn einige bei der Premiere noch Probleme mit ihren Stichworten hatten.

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