Das neue, im Wiener Rabenhof präsentierte Programm von Stermann und Grissemann heißt nur "Stermann". Das macht aber nichts. Der Bundespräsident und Barbara Karlich kommen auch vor.
Blitzblau ist das Hemd des Mannes, der dem Programm seinen Namen gab, in ebenso edlem Smaragdgrün glänzt das Oberteil seines Bühnenpartners Christoph Grissemann. Dazu tragen die beiden gut geschnittene Anzüge in gedeckten Farben. Sie haben verstanden: Monochrome Hemden kleiden Entertainer in dem Alter, das man das beste nennt, aufs Beste. Karos und Streifen, Amöben und Palmen, das passt für die Jugend, wenn überhaupt.
Dazu passen alte, bewährte Witze. Stermann und Grissemann haben in etlichen Interviews angegeben, dass sie sich auf gut abgelegenes Humorgut verlassen: Das mag kokett gemeint gewesen sein, es ist aber auch wahr. So rätselte man bei der Premiere ständig: Hat man diese Pointe von Lenny Bruce oder Woody Allen in Erinnerung? Stammt dieser Gag von Farkas und Waldbrunn oder doch aus einer uralten Folge des „Salon Helga“? Ein Praktikum aus Humorgeschichte sozusagen, und das ist ja nichts Ehrenrühriges.
Dabei wird der Vergleich mit den alten Doppelconférencen immer zutreffender. Wie weiland Farkas und Waldbrunn lesen Stermann und Grissemann ohne allzu strenge Qualitätskontrolle jede Pointe auf, die in der weiteren Umgebung herumliegt. Und auch sie spielen virtuos mit den Kunstfiguren, die sie aus sich gemacht haben. Bei ihnen ist halt nicht einer der G'scheite und einer der Blöde, sondern einer (Grissemann) der Depressive und einer (Stermann) der Gefestigte. Einer der Sympathische und einer der wirklich Liebenswerte. Einer der Tiefe mit Flachheit und einer der Flache mit Tiefgang. Einer der George McCartney und einer der Ringo Lennon, alles klar?
Das geht seit 20 Jahren so und wird und wird (ihnen) nicht und nicht langweilig. Das ist auch im Grunde die einzige Rahmenhandlung des Programms: Stermann nervt Grissemann, Grissemann nervt Stermann, aber sie haben einander lieb, wie wehmütige Männer einander lieb haben. Am liebsten halten sie einander die Grabreden. Diesmal will Stermann ungestört seine Lebensgeschichte erzählen (und Trompete spielen) und schickt Grissemann nur in einer Windel über die Bühne, die ihm deutlich schlechter steht als das smaragdgrüne Hemd. Den „Michael Jeannée dieses Programmes“ nennt er ihn, was wirklich nicht nett ist. Grissemann lässt sich natürlich nicht wegrationalisieren und besteht u.a. auf dem rituellen Bekenntnis zu seinen Depressionen. „Selbstmord, das ist wie Putzen, bevor die Putzfrau kommt“: Sagt er das oder Stermann? Ist auf jeden Fall ein guter Satz. Gut ist auch die Heterosexuellenparade in Kabul, das in der Burka verzehrte Schnitzel („Das Auge isst mit“), das Fesselspiel mit einer Frau von Amnesty International.
Ja, das ist an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Nein, das macht nichts. An dieser Grenze hat Kabarett eine dauernde Aufenthaltserlaubnis. Und ein Duisburger darf doch sagen, dass Duisburg durch die Bombardierungen eher schöner wurde...
Natürlich: Ob es okay ist, über Barbara Karlich Witze zu machen, darüber kann man streiten. Und ganz im Ernst: Im Kabarett über die ÖBB zu spötteln, ist so abgedroschen, dass es nicht schon wieder originell ist. Und die Fischer-Parodien sind schwach. Aber wer würde zwei sympathischen Herren mit so gutem Hemdengeschmack so etwas nicht freudig verzeihen?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2011)