Grazer Oper: Ein Trümmerhaufen von Klischees

(c) Werner Kmetitsch/Oper Graz
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Peter Konwitschnys vierschrötige und auch musikferne Inszenierung von Tschaikowskys "Pique Dame" gerät zu einer unfreiwilligen Realsatire.

Wer hätte das gedacht? Peter Iljitsch Tschaikowskys letztes, grandioses Bühnenwerk als ein Festival an Déjà-vu-Erlebnissen aus der Mottenkiste des deutschen Regietheaters, und all das bereits hunderte Male gesehen: Laternenmastpinkeln betrunkener Soldaten, Sex von vorn und von hinten, mit Wodkaflaschen verlängerte Penisse, Unterbrechung der Musik durch eine gesprochene Publikumsbeschimpfung (es ging in kaum verständlichem Deutsch mutmaßlich um die St. Petersburger „Opernärsche“ der Uraufführung), gleich zwei Mal erhellter Zuschauerraum (Achtung, Aufklärung!), der unvermeidliche Ex-DDR-Koffer als Wander- und Abschiedssymbol, die verhasste „zaristische Gesellschaft“ (so prüde wie verlogen, wie uns der historisch abenteuerlich oberflächliche und durch und durch ideologische „Regiekonzept“-Beitrag im Programmheft dartut), denunziert als halb debile Playboy-Haserl-Partyhabitués und so weiter und so fort.

Offen bleibt freilich, warum Hermann seine blaue Boxershort nicht auszieht, wenn er die Gräfin zu Tode vögelt, denn an rassigen Dessous (bitte auch weiterhin das Opernglas nicht vergessen!) hatte auf der Bühne bislang kein Mangel geherrscht. Wie hilflos, armselig, kläglich, durch und durch komplexbeladen, unpoetisch, vierschrötig, musikfern, inwendig verzweifelt uninspiriert und letztendlich auch tödlich langweilig wirkt das alles, da braucht man gar keine melancholischen Vergleiche mit Peter Steins vollendet ästhetischer Deutung in Lyon oder Dietmar Pflegerls genialem Klagenfurter Wurf anzustellen, das richtet sich alles ohnehin von selbst.

Den ganzen Opernabend lang empfindlich störend auch die nach jedem Bild wie die Gorilla-Affen „Bravo“ brüllenden Claqueure!

Tröstlicher musikalischer Schwung

Gegenüber einem solch trostlos zusammengezimmerten szenischen Trümmerhaufen hat die Musik kaum eine Chance: Nur mühsam bringt Tecwyn Evans das Grazer Philharmonische Orchester in Schwung, das idiomatisch Russische tritt nur sehr selten in Erscheinung, die ekstatische Glut der Partitur wirkt über weite Strecken merkwürdig abgeblendet.

Avgust Amonov kämpft als Hermann stimmlich und darstellerisch wacker dagegen an, dass er bereits von Anfang an als ein zerrissener Trunkenbold erscheinen muss – wie kann er da seinen tragischen Absturz glaubhaft darstellen? Asmik Grigorian gelingt eine berührende, stimmschöne Lisa, die nur gegen Schluss vokale Ermüdungserscheinungen kaum zu kaschieren vermag, keinerlei Wünsche offen lassen hingegen die großartig präzisen Rollenporträts von Dshamillja Kaiser (Polina) und Fran Lubahn (eine Gräfin von dämonischer Aura und sinnlicher Kraft). Höhepunkt des Abends die Jeletzki-Arie, die von Andrè Schuen in vollendet slawischer Grundierung und tief empfundenen Legato-Bögen hinreißend gestaltet wurde – zu Recht gab es für diese Meisterleistung den meisten Applaus am Ende dieser traurigen Produktion.

Auf einen Blick

Peter Konwitschny (*21.1.1945 in Frankfurt a.M.) ist für kontroverse Inszenierungen bekannt. Der Sohn eines Dirigenten wuchs in Leipzig auf, studierte Opernregie in Berlin, war Regieassistent am Berliner Ensemble. Seit 1980 inszeniert er im ganzen deutschen Sprachraum, mittlerweile auch international. Aufsehen erregten vor allem Interpretationen der Opern von Händel und Wagner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2011)

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