René Pollesch lässt lauter Luft ab

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Das Stück „Die Liebe zum Nochniedagewesenen“ ist erbärmlich und wird im Akademietheater auch erbärmlich gespielt. Nur die Souffleuse hat Klasse.

Ein anständiger Hof beschäftigt auch einen Hofclown, der über den Kaiser ganz kindlich sagen darf, dass der gar keine Kleider anhat. Nun ist das Burgtheater zwar längst kein Hoftheater mehr, aber es leistet sich seit einigen Jahren René Pollesch, der den Besuchern regelmäßig einbläut, dass es gar kein konventionelles Theater mehr gebe. Das macht er gelegentlich in so artiger Form, mit masochistischen Schauspielern, die ihre Selbstverleugnung zu derart hoher Kunst treiben, und mit solch gewollt-dilettantischem Einsatz der Theatermaschinerie, dass die Haupt- und Staatsaktion gelegentlich zum nachdenklichen Amüsement der Satten wird, die sich für global trendig halten, die öko-, ideo-, a-, dys- und epistemologisch lauter sein wollen.

Ein echter Pollesch-Abend mixt Sinnsprüche und Modeworte derart gnadenlos und unfertig in immer neuen Varianten, dass man schließlich meint, einer bedeutenden philosophischen Steißgeburt beigewohnt zu haben. Das Establishment glaubt, sich ungestraft über das Establishment lustig zu machen. Das hat zuweilen eine befreiende Wirkung. Froh strebt dann vielleicht der Banker, Expolitiker, Dramaturg, Direktor oder irgendein Scheißkerl nach Nichterteilung der Generalabsolution nach Hause und denkt sich vielleicht: Lustig, es fehlt zwar etwas, es fehlt eine Funktion, aber irgendwie kann ich doch gar nicht so nackt sein, wenn ich Pollesch zu verstehen glaube.

Der gelbe Plastikknoten des Denkers

Der bietet diesmal immerhin ein Unwetter samt Schiffsunglück wie aus einem Zaubermärchen, Filmsequenzen, Gekreisch von Möwen, Chansons (die Bardot), Fauntänze, geile Szenen wie bei Hitchcock (Mount Rushmore). Und sogar eine unzensurierte Raucher-Szene! Darüber wird man reden!! Das muss doch besprochen werden!!!

Was aber, wenn der Clown einmal gar nicht lustig ist oder nachdenklich oder wenigstens zynisch, sondern nur pudelnackt? Wer auf solch ein Fiasko steht, der sollte sich „Die Liebe zum Nochniedagewesenen“ nicht entgehen lassen. Am Mittwoch gab es die Uraufführung im Akademietheater. Die Vorstellung dauerte 85Minuten und 69Sekunden. Sie war grässlich, so erbärmlich wie die riesige, verknotete, knallgelbe Plastikwurst, die im Verlauf des Stückes auf- und abgeblasen wurde und die Bühne dominierte. Achtung, Symbol! Vorsicht, Ironie! René Pollesch lässt diesmal lauter Luft ab.

Emmet hat sich den Knoten gewünscht, ein Tänzer aus besseren Filmtagen, der von Martin Wuttke gespielt wird. Dieser Mann mit dem rotblonden Zaushaar, in wechselnden Kostümen (als Faun mit Pferdefüßen, Raubtierhemd, Federhose oder als Bergsteiger oder im Silber-Overall) verwickelt seine Partner in verquere Reden über Liebe, Kunst, Tragödien, die Krise und die Katastrophe. Sie sind: Django (Stefan Wieland), Hattie (Margit Carstensen) und Blanche (Catrin Striebeck) – allesamt Geliebte, Konkurrenten, Vorbilder, die gemeinsam durch die Sätze und den Knoten turnen, von Aussage zu Aussage. Es gibt aber auch bedeutende Sätze, die jedes Sesselkreis-Seminar schmücken würden: „Nie sprichst du über deine Gefühle!“ oder „Woran denkst du, wenn du tanzt?“, aber auch Banales aus der Welt des Plagiats: „Ich brauche eine andere Liturgie des Sinns und der Wahrheit.“

Es geht um Geschlecht und Charakter, laut Homepage des Theaters gar um „die Auflösung des menschlichen Subjekts im Zeitalter von allumfassender Vermarktung sowie gesellschaftliche Kontroll- und Repräsentationsmechanismen und nicht zuletzt die Produktionsbedingungen des eigenen Metiers“. Das klingt opulent. Die Worte aber sind verbraucht. Die Texte scheinen beliebig montiert und zufällig. Achtlos und probeweise gehen die Akteure mit ihnen um, die auf der Bühne präsente Souffleuse Sibylle Fuchs spielt oft die Hauptrolle: Carstensen kann sich kaum Text merken, Wieland nicht einmal den wenigen, der ihm gegeben ist. Wuttke, der die Hauptlast hat, verfällt ebenfalls in Phasen der Textunlust. Nur Striebeck ist brav und hat sich fast alles gemerkt.

Hoffentlich disqualifiziert sie das nicht für den nächsten Schwall von Pollesch. Denn der kommt bestimmt. Im Finale wird nämlich der ultimative Text versprochen, der jeden weiteren Gedanken obsolet macht. Und Wuttke kann schon zu üben beginnen für Lyrisches. Sein Part endet mit dem losen Versprechen: „Anschließend werde ich meine eigenen Gedichte vortragen, die sich kritisch mit der Wirtschaft auseinandersetzen.“ Das kann ja heiter werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2011)

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