Burgtheater: „Endstation Sehnsucht“ als großes Solo

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Dieter Giesing hat das Südstaaten-Drama von Williams präzis analysiert. Er richtet es stark auf Blanche aus. Dörte Lyssewski verkörpert diese Rolle vielschichtig, glanzvoll – der Star in einem starken Ensemble.

Diese Wohnung in den Elysian Fields, einem gewöhnlichen Bezirk in New Orleans, sieht aus, als ob Hurrikan Katrina bereits darüber hinweggefegt wäre: Schiefe Wände, Türen und Fenster. Karl-Ernst Hermann hat die Bühne außerdem in großer Diagonale weit ins Parkett gebaut. Aber sonst hält sich Regisseur Dieter Giesing genau an die Vorschriften von Tennessee Williams für das Interieur von „A Streetcar Named Desire“: Eine Wohnküche, die nur durch einen Vorhang von Schlafzimmer und Bad getrennt ist, ein Klappbett für einen unverhofften Gast. Zudem betont hier eine nackte Glühbirne das schäbige Ambiente.

Begonnen wird auf offener Bühne, die Szenen werden durch Umbauten im Dunklen segmentiert. Der Zuseher ist also ganz nah dran an der Schräge dieses Familiendramas, das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg spielt und damals geschrieben wurde (deutsche Übersetzung von Helmar Harald Fischer). Giesing hat sich in seiner dreistündigen Interpretation, die am Samstag im Burgtheater Premiere hatte, dem Klassiker schnörkellos genähert, bleibt präzis am Text. Er erweckt trotz zweier Ventilatoren hoch an der Decke und geschmeidiger Jazzmusik nicht Südstaaten-Schwüle, sondern analysiert den Untergang einer einst wohlhabenden Frau, die mittellos ins mittlere Alter kommt, mit kalter Präzision – hier ist eine mustergültige Inszenierung gelungen, die sich auf das Wesentliche und die Hauptdarstellerin konzentriert.

Nicholas Ofczarek als echter Prolet

Die aber ist tatsächlich eine Wucht. Dörte Lyssewski spielt Blanche DuBois mit so großer Überzeugungskraft, dass man diese Figur hassen und lieben, über sie lachen und weinen kann. Drei Stunden lang ist sie als immer überschminkte, auf jugendlich gelockte reife Blondine ständig präsent auf der Bühne. Sie spielt sich die Seele aus dem Leib und bringt eine makellose Leistung.

Was für eine Frau ist sie? Die Eröffnung zeigt bereits die Tragik. Blanche hat Herrschaftshaus und Plantage verloren, auch, wie man später erfährt, ihren Job als Englischlehrerin, weshalb sie nach skandalösen Affären Unterschlupf bei ihrer jüngeren Schwester Stella (Katharina Lorenz) sucht, die Stanley Kowalski geheiratet hat. Nicholas Ofczarek spielt diesen Vertreter der Arbeiterklasse als echten Proleten. Aus der Sicht der einst höheren Töchter ist Verachtung für die ordinäre Unterschicht herauszulesen, aus der Sicht Kowalskis und der Kumpel in seiner Pokerrunde jedoch auch Selbstbewusstsein. Er zitiert den Code Napoleon. Das nennt man Emanzipation. Für die Oberklasse hat er nichts übrig. Nun kommt die Dame vom Land an, mit einem Metallkoffer, der bald von Kowalski auf seinen Schätzwert untersucht wird. Er vermutet Reichtümer und sieht nicht, dass es nur noch gespielter Überfluss ist – teure Kleider aus besseren Zeiten. Der Schmuck ist bloß aus Glas.

So beginnt das Missverständnis. Weiß ist allein ihr Name, Blanche fühlt sich beschmutzt, flüchtet ständig in Alkohol und heiße Bäder zur Beruhigung, während Kowalski alles tut, um sie zur Abreise zu drängen, vor keinem Missbrauch zurückschreckt. Ofczarek gelingt dabei ein Kunststück. Die Bühne ist riesig, doch wenn er aufdreht, wenn er Frauen und Freunde mit Wucht attackiert, an der Rampe die Sau rauslässt und die Wampe präsentiert, bekommt man Platzangst. Und dennoch ordnet auch er sich dem großen Solo Lyssewskis unter.

Lorenz als ein höriges junges Weibchen

Das gilt noch mehr für Lorenz, die ein angeblich höriges junges Weibchen und eine angeblich liebende Schwester mit geheimnisvoller Kälte spielt. Sie verleiht der Rolle der Schwangeren (der Bauch wächst von Szene zu Szene, am Schluss ist sie Mutter) fast nur innere Stärke. Sie bedient folgsam Mann und Schwester. Aber es wirkt glaubwürdig, wenn Stanley nach einem Exzess vor ihr um Verzeihung winselt, weniger allerdings, wenn es um die Begierde geht.

Im Vergleich zu diesem Trio sind sogar exzellente Charakterdarsteller wie Dietmar König als komplexbeladener Verehrer Mitch und Petra Morzé als robuste Hausbesitzerin Eunice oder auch Juergen Maurer und Marcus Kiepe als Stans Kumpel nur Staffage. Sie dienen gekonnt dem offensichtlichen Regiekonzept: In allen elf Szenen soll das Schicksal der armen Blanche zum Leuchten gebracht werden – was diesem Starensemble mit seinem Solostar spielend gelingt.

Die nächsten Termine: 2., 4., 6., 12., 13. und 24. Februar, jeweils um 19.30 Uhr.

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