Friedkin: „Der nächste Weltkrieg steht bevor!“

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William Friedkin, Regisseur von Kinohits wie „Der Exorzist“, inszeniert in Wien Offenbachs „Les contes d'Hoffmann“. Ein Gespräch über die Faszination des Bösen und Jubel für Polizeibrutalität.

„Die Presse“: Als Regisseur von Filmen wie „The French Connection“ oder „Der Exorzist“ sind Sie weltberühmt. Mittlerweile arbeiten Sie aber mehr auf der Bühne als im Kino. Gerade proben Sie Jacques Offenbachs fantastische Oper „Les contes d'Hoffmann“ für das Theater an der Wien.

William Friedkin: Ich weiß gar nicht, wie viele Filme ich gemacht habe. Ich erinnere mich an ihre Titel, aber ich zähle sie nicht! Letztes Jahr habe ich in Venedig „Killer Joe“ vorgestellt: mein erster Film seit fünf Jahren, abgesehen von ein paar „CSI“-Folgen. Dazwischen habe ich Theaterstücke gemacht und sicher ein gutes Dutzend Opern, darunter Puccinis „I trittico“ mit Woody Allen.

Sie haben gemeinsam mit Allen inszeniert?

Ja, aber wir arbeiteten getrennt voneinander: Er übernahm den heiteren Einakter des Triptychons, ich die beiden düsteren Teile.

Ist Ihr Zugang für die Bühne anders als beim Film? Sie haben oft gesagt, dass Sie bei Filmdrehs nicht gerne vorher proben. Aber im Theater . . .

Prinzipiell sehe ich keinen Unterschied – außer eben, dass man bei Opern viel proben muss! Aber gute Sänger und gute Filmschauspieler wollen dasselbe vom Regisseur: eine psychologische Grundlage für ihre Figur und eine funktionierende Inszenierung. So wie ich im Kino das Set und seine Ausleuchtung kontrolliere, überwache ich auf der Bühne das Aussehen der Produktion. Aber ohne Kamera muss man sich andere Wege ausdenken, um Charaktere wie in Nahaufnahme oder in großem Abstand zu zeigen. Auch das geht über Lichtsetzung und Inszenierung. Doch letztlich sind die Bedürfnisse der Sänger dieselben wie bei Schauspielern.

„Hoffmanns Erzählungen“ scheint jedenfalls ein idealer Stoff für Ihr großes Thema: der Kampf zwischen Gut und Böse, mehrdeutig abgehandelt. In Ihrer Jugend waren Sie in kleinkriminelle Aktivitäten verwickelt. Sehen Sie darin die Wurzeln Ihrer Faszination für die dunkle Seite?

Das waren aber keine schweren Straftaten: Ich habe niemanden angeschossen oder gar getötet. Doch wir machten Raubzüge. Als junger Mann war ich völlig außer Kontrolle: Es war mir auch egal, ob etwas richtig oder falsch war. In der Schule passte ich nicht auf, weil mich nichts interessierte. Kann sein, dass mich diese Phase beeinflusst hat, aber darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe nur im Lauf der Jahre gelernt, dass das Gute und das Böse in uns allen sind: ein ständiger Kampf, dass unsere positive Seite die negative überwindet. Klar, die schlimmsten Diktatoren ergaben sich ihrer dunklen Seite völlig. Aber sie ist in jedem, auch ich ringe ständig mit ihr. Das Thema meiner Filme ist eigentlich Jekyll und Hyde – wie bei Hoffmann. Und E.T.A. Hoffmans „Die Elixiere des Teufels“ ist ein großartiges und erschreckendes Buch. Bei der Behandlung des Doppelgänger-Themas haben mich seine Erzählungen immer schon inspiriert – sowie Freuds berühmter Essay „Das Unheimliche“, der auch auf Hoffmann eingeht.

In Ihren Filmen siegt aber öfter die dunkle Seite!

Das passiert eben. Schlagen Sie doch einfach die Zeitung auf! Da sehen Sie jeden Tag die Siege der dunklen Seite. Es wird hoffentlich nicht so schlimm wie der Zweite Weltkrieg, aber ich glaube, dass ein neuer Krieg droht! Ich sehe die Gefahr einer Krise im Mittleren Osten, die alle betreffen wird – von den USA bis zum afrikanischen Kontinent. Der Mittlere Osten ist jetzt da, wo Europa 1938 war. Die Gefahr ist genauso groß.

Sie glauben, der Krieg steht unmittelbar bevor?

Zweifellos. Ich rede nicht nur von Israel und dem Iran. Russland provoziert viel Unruhe in Syrien: wie ein Marionettenspieler, der an Fäden zieht. Die Russen haben mit Krieg gedroht, wenn Israel den Iran angreift. Man kann nicht behaupten, dass sie versuchen, die Lage zu beruhigen. Wir leben in einer sehr gefährlichen Zeit, aber das scheint den meisten Leuten nicht klar zu sein. Der letzte Weltkrieg ist über 50 Jahre her, das könnte der nächste werden. Die dunkle Seite gewinnt an Macht. Das ist auch mein Konzept bei „Hoffmann“: Die Schurken repräsentieren seine dunkle Seite. Doch am Ende begreift er: Er ist ein Poet und darf sich nicht auf zerstörerische Beziehungen einlassen.

Darf man das als eine Art Happy End verstehen?

Sagen wir: Es ist hoffnungsvoll. Die dunkle Seite ist noch auf der Bühne, aber auch das Licht: Vor Hoffmann sind ein Computer und eine Pistole. Er kann sich dafür entscheiden zu schreiben – oder sich zu erschießen. Vor diese Wahl stelle ich Hoffmann am Ende.

Sie lieben solche Vieldeutigkeiten. Das war schon bei Ihrem ersten Film so , der Todeskandidaten-Dokumentation: „The People vs. Paul Crump“. Von dort geht eine direkte Linie zu späteren Spielfilmen wie „The French Connection“ oder dem Serienkiller-Justizdrama „Rampage“.

Ja, bei „French Connection“ sah ich die Gelegenheit, dokumentarische Techniken in eine Fiktion einzubringen. Damals verstand ich mich nicht als Teil von Hollywood. Was dort gemacht wurde, sprach mich nicht besonders an, europäisches Kino schien mir viel interessanter: Die italienischen Neorealisten oder die französische Nouvelle Vague. Ich dachte, das sei die Befreiung des Kinos.

Immerhin schien es Anfang der 1970er noch möglich, solche Einflüsse in Hollywood durchzuboxen. Vermutlich auch, weil Filme wie „French Connection“ vergleichsweise billig waren.

Das war schon damals die Ausnahme! Den Studioleuten war nicht klar, was wir machten. Auch bei „Der Exorzist“: Als sie meine reduzierte Inszenierung sahen, hatten sie keine Ahnung, was sie damit machen sollten. Und je weniger Geld wir ausgaben, desto mehr Freiheiten hatten wir – Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich oder auch Brian De Palma. Bei größeren Budgets gab es immer Kontrolle vom Studio am Set.

Ihre letzten Filme wie „Bug“ und „Killer Joe“ sind unabhängig produziert – wohl auch, weil sie so radikal sind. Auch Coppola arbeitet ja wieder so. Von den „New Hollywood“-Erneuerern macht nur noch Martin Scorsese große Studiofilme.

Etwas so Radikales wie „Killer Joe“ wäre mit einem großen Studio unmöglich! Heute gibt es alle diese Skripts über Roboter und Vampire, das interessiert mich gar nicht. Offenbar interessiert es andere. Auch Scorseses letzte Filme sind nicht mehr so aufregend wie sein Frühwerk. Natürlich sind sie gut: Er ist ein superber Regisseur, aber die Arbeit im System beschränkt eben die Möglichkeiten. In den 1970ern war es für uns in Hollywood so, als würden wir unabhängig arbeiten, weil die Bosse keine Ahnung hatten: ein Vorwand, um europäische Filme zu machen.

Wie Ihr Thriller „Sorcerer“ , ein Remake des Klassikers „Der Lohn der Angst“ von Georges-Henri Clouzot: ganz anders, aber genauso großartig.

Ich liebe „Der Lohn der Angst“, aber ich sah es einfach als klassische Geschichte – wie „Hamlet“: Ein neuer „Hamlet“ würde auch nicht als Remake gelten, sondern als anderer Zugang zum Stoff. Für mich waren diese vier Fremden, die auf einer Dynamitladung sitzen, eine Metapher für die Welt: Wenn sie nicht kooperieren, werden sie sterben! Also betonte ich andere Dinge als Clouzot. Für mich ist das kein Remake, sondern eine neue Version: Wenn ein großer Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer einen neuen „Hamlet“ spielt, sagt auch keiner Remake!

„The French Connection“ basiert auf einem wahren Fall. Sie fanden das Drehbuch zunächst völlig uninteressant. Erst als Sie die beiden echten Polizisten trafen, begeisterten Sie sich dafür.

Ja, dann sah ich den Film sofort vor mir. Das Drehbuch war ein sogenanntes „procedural“: Zuerst passierte das, dann passierte das und dann das usw. Es schleppte sich ohne Gefühl für die Charaktere dahin – das bekam ich erst durch das Treffen mit den echten Cops. Dann verstand ich, wie sie dachten. Ich stolperte zufällig hinein und entdeckte dann die von mir so geschätzte Vieldeutigkeit: Instinkt! Denn mir war klar, dass der französische Drogenschmuggler-Boss hier ein Gentleman ist: höflich zu Frauen, ein Gourmet, der sich gut anzieht – und das ist der Schurke! Der von Gene Hackman gespielte Polizist hingegen ist ein Nichtsnutz, der Frauen brutal behandelt. Er hat keinen Respekt für sie, für niemanden! Er verprügelt Verdächtige – und das ist der Gute!

Ein Rassist ist er obendrein. Was haben die echten Cops zu Ihren Film-Inkarnationen gesagt?

Sie haben sie geliebt! Eddie Egan, den Hackman verkörperte, war als Berater am Set und zeigte, wie man jemanden durchsucht usw.

Was dachte Egan über die Szene, in der Hackman einen Gangster einfach von hinten niederschießt?

Davon waren die echten Polizisten erst nicht begeistert. Aber als sie ins Kino gingen, um den Film zu sehen und das ganze Publikum spontan jubelte, dachten sie wohl: „Der Kerl hatte also doch recht!“ Sie hatten so etwas auch selber gemacht, aber sie redeten nicht darüber. Doch ich wusste es und es schien mir wichtig. Damals war es den Leuten eben egal, wie man jemanden niederstreckt: Hauptsache, man wurde den Bösewicht los!

Zur Person

William Friedkin (*1935, Chicago) begann seine Regiekarriere beim Live-Fernsehen, 1965 ging er nach Hollywood, wo er mit „French Connection“ und „The Exorcist“ zwei der berühmtesten Filme der 1970er inszenierte. Verheiratet war er u.a. mit Jeanne Moreau.

„Les contes d'Hoffmann“ im Theater an der Wien unter Friedkins Regie wird am 19., 23., 25., 27. und 29. März sowie 2. April gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2012)

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