Hartmanns Trojanisches Gummipferd

Trojanische Gummipferd
Trojanische Gummipferd(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Matthias Hartmann inszeniert im Burgtheater Kasino die »Ilias« und ihre literarischen Folgen. 17 tolle Schauspieler umkreisen den antiken Stoff. Neben starken Momenten viel Blödelei.

Um 1186 aus Papier gefaltete Schiffchen auf die Bühne des Kasinos zu bringen, braucht man Zeit, selbst wenn 16 Schauspieler des Burgtheaters die Requisiten kartonweise herbeitragen. Nach einer gefühlten Viertelstunde aber steht sie angriffsbereit da, die griechische Flotte vor den hohen Mauern Trojas, und füllt einen mit Löwen verzierten Teppich zwischen den Tribünen der Zuseher, die bereits eine Stunde und zwanzig Minuten eine Nachbetrachtung und Vorgeschichten zum berühmtesten Krieg der Antike verfolgt haben. Sie mussten bei der Premiere am Freitag dann noch weitere drei Stunden ausharren, bis fast alle Helden tot und alle Götter entzaubert waren, in dieser durchwachsenen Inszenierung von Matthias Hartmann, dem der belgische Regisseur Jan Lauwers bei der Gestaltung der Bühne assistierte.

Die Schifferl-Passage aber, unmittelbar vor der ersten Pause, ist diesem Team, das Pathos, Kalauer, Zynismus, Läppisches und auch wirklich Schönes zu einer bizarren Melange mixt, wirklich gelungen. Für den Zauber der geschilderten Szene sorgt vor allem der 17. Schauspieler: Fabian Krüger spielt hier als Erzähler Homer pur. 60.000 Mann auf 1186 Schiffen werden vom Dichter der „Ilias“ in maßloser kleinasiatischer Angeberei genannt. Diese aus griechischen Namen bestehende Heerschau wird von Krüger als Hochamt zelebriert, ein Intensivkurs in Geografie, Geschichte und individuellem Charakter umtriebiger Hellenen. Hier steht ein einig Volk von Brüdern, das gegen trojanische Barbaren anstürmt, um offiziell den Raub der Helena (Adina Vetter) durch Paris (Lucas Gregorowicz) zu rächen, obwohl es eigentlich vor allem um Wirtschaft geht, um freie Handelswege und um Macht.


Lauter Intrigen. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer bereits, wie brüchig diese Allianzen sind. Hartmann hat nicht nur Homer, sondern Dutzende Werke über den Trojanischen Krieg herangezogen, um zu zeigen, wie korrupt die Götter, wie schwach die Menschen sind. Er erzählt die Geschichte von dem Moment an, als das hölzerne Pferd am Strand vor Troja steht und die Griechen – zum Schein – nach Hause gesegelt sind, also nach der Ilias, so wie es in Vergils „Aeneis“ und kleineren Werken der Antike steht. Oder in modernen Nachbetrachtungen wie Christa Wolfs verheulter „Kassandra“ oder Peter von Matts „Die Intrige“. Sartre, Jens, MacLeish, Hagelstange und noch viele andere hat Amely Joana Haag für diesen bunten Bildungsbürgerabend in einer qualitativ inhomogenen Textfassung zusammengefügt, die das Thema umkreist. Der Schwachpunkt des Textes ist ein zentraler. Raoul Schrotts kecke Übertragung der „Ilias“ ins Zeitgeistige ist schmerzhaft platt. Ziemlich direkt wird das nach der zweiten Pause sogar auf der Bühne angesprochen. Der kriegsmüde Achilles redet ordinär. Ein Kämpfer fragt ungläubig: „Ist das Ilias?“ Achilles: „Ja, das ist Schrott.“

Zurück zum Ende, das in dieser Inszenierung am Anfang steht: Krüger spielt nicht nur den Gott Apollon, sondern auch den griechischen Intriganten Sinon, der die Trojaner davon überzeugen muss, das riesige hölzerne Pferd, das die Angreifer im zehnten Kriegsjahr zurückgelassen haben, in die Stadt zu ziehen. Es sei ein Weihegeschenk, das die Stadt unbesiegbar mache. Also reißen die verblendeten Trojaner trotz der traurigen Warnungen Kassandras (Sylvie Rohrer) die Mauern ein. Hier bauen sie am Ende ein Pferd aus Schaumgummi auf, das bis zu einer hohen Brücke reicht, auf der die Götter ihr böses Spiel demonstrieren.


Wiederholungszwang. Im Gegensatz zur Schifferlszene ist diese Turnübung aber ermüdend. Das ganze Großunternehmen mit einer Armada exzellenter Burgschauspieler sieht trotz vieler gelungener Gemmen noch ziemlich unfertig aus. Neben Rohrer und Krüger glänzen Sabine Haupt und Therese Affolter in rührend tragischen Frauenrollen. Auch Philipp Hauß verzeiht man, weil er in seiner List überzeugt, dass er einen Text des Odysseus gleich viermal deklamieren muss. Oliver Masucci und Daniel Jesch sind als Achilles und Hektor starke Helden, Juergen Maurer als Agamemnon und Gregorowicz setzen gelungene Kontrapunkte. Auch Stefanie Dvorak, Christiane von Poelnitz und Catrin Striebeck haben als gemeingefährliche Götter tolle Auftritte – jedoch! Was hält diese Spielereien eigentlich zusammen, was macht diesen von Literatur strotzenden Vortrag zum großen Drama? Bei einem schwächer besetzten Ensemble würde man bemängeln, dass diese Aufführung zu oft in den Ulk kippt. Hartmann erweist sich hier im Gegensatz zu seiner tollen, ebenfalls monumentalen Inszenierung von „Krieg und Frieden“ vor allem als Liebhaber des Verblödelns. Dazu würden aber auch eineinhalb statt viereinhalb Stunden reichen.


Tolle Musik. Also zurück in die Werkstatt, das Kurzschwert gezückt, auf in den Kampf gegen dekonstruktiven Zitateneifer! Dann wird dieser Trojanische Krieg vielleicht sogar gewonnen. Hartmann und Lauwers zählen ja zu den lernfähigen Regisseuren, weil sie ihre Arbeit als „work in progress“ sehen. Es besteht Hoffnung. Bis dahin aber kann man sich damit begnügen, 17 tollen Schauspielern dabei zuzusehen, wie sie mit individuellen Kabinettstücken jeweils ihre Viertelstunde Ruhm abholen. Dazwischen darf man sich zurücklehnen und den Kompositionen von Karsten Riedel und Joeri Cnapelinckx lauschen. Da ahnt man: In alten Epen ist viel Musik drin.

Homers Welt

12. Jahrhundert v. Chr.
Der Krieg um Troja, ein zentraler Mythos der Griechen, soll, falls überhaupt, um 1200 vor Christus stattgefunden haben. Es kann aber auch 1300 oder 1100 gewesen sein. Troja brannte mehrfach ab.

8. Jahrhundert v. Chr.
Hinsichtlich Datierung unsicher ist auch, wann die Epen „Ilias“ und „Odyssee“ entstanden, die einem Dichter namens Homer zugeschrieben werden. Viele heutige Forscher setzen sie im späten 8. Jhdt. v. Chr. an. Herodot datiert die Lebenszeit des Dichters etwas früher.

Streit um Homer
Mindestens sieben griechische Städte beanspruchen für sich, die Geburtsstadt des ersten Dichters des Abendlandes zu sein. Für Raoul Schrott war Homer ein Schreiber in assyrischen Diensten in Karatepe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2012)

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