Mexikos Rebellionen, leicht gekürzt, im Theater

(c) Wiener Festwochen
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Die berührende Performance „El rumor del incendio“, „Die Sprache des Feuers“ im „Brut“ blendet zurück in die jüngere Geschichte eines alten Sehnsuchtslandes, das im Chaos zu versinken droht.

Die junge Generation betrachtet die Älteren heute nicht mehr mit dem Zorn der 1968er. „Mama, erzähl mal“, „Papa, erzähl mal“, heißen Bücher, in die Eltern ihre Erlebnisse und jene mit den Kindern einschreiben. Die Festwochen zeigen im „Brut“ im Künstlerhaus „El rumor del incendio“, „Die Sprache des Feuers“, eine Uraufführung aus Mexiko, die Politisches und Privates verbindet. In Mexikos Geschichte scheint eine Revolution der anderen zu folgen. Ein Grund ist die soziale Lage. 70 Jahre war eine einzige Partei an der Macht, die „Partei der Institutionellen Revolution“. Heute ist das Land von Drogenkriegen zerrissen, die schwer bewaffnete Kartelle, Banden gegeneinander und mit dem Staat ausfechten.

Dieser Krieg ist viel schlimmer geworden, als ihn Steven Soderbergh 2004 in seinem grandiosen Film „Traffic“ geschildert hat. Der nahe riesige US-Drogenmarkt bietet fette Profite. Ca. 300.000 Angehörige haben Mexikos Drogenkartelle. Zuletzt am 13. Mai wurden 49 Leichen in der Nähe von Monterey entdeckt. Diese Realität ignorieren die bunten Prospekte, die für den Tourismus werben: Acapulco, die Strände, dazu die präkolumbische Kultur, Azteken, die Maya-Ruinenstätte Chichén Itzá, ein Weltkulturerbe, welche Kombination könnte besser sein?

Sixties-Abenteuer im Terrorschatten

Angesichts solcher Kontraste, Mord und Totschlag einerseits, happy Fremdenverkehr andererseits, mag die Aufführung im „Brut“ leicht naiv erscheinen. Sie stellt die Frage, wie man radikalen Protest ohne Gewalt äußern kann – und ergreift in irritierender Weise Partei für den Kommunismus. Doch „Die Sprache des Feuers“ erzählt auch viel von der Welt hinter den schönen Gegenden, in denen wir unsere Urlaube verbringen. Eine Tochter erzählt die Geschichte ihrer Mutter, die 1944 geboren wird und 2000 an Kehlkopfkrebs stirbt: Es ist eine wunderbare typische Sixties-Vita mit politischer Revolte aus einleuchtenden Gründen, mafiose Verhältnisse. Es folgen Gefängnis, Anthropologiestudium, Liebschaften, Kinder. Das Leben ist ein Abenteuer – trotz grauenerregender Ereignisse, einer Opposition, die immer wieder brutal ermordet, mundtot gemacht wird. Wie ein Maschinengewehr feuern Schläge und Gegenschläge, immer mehr steigert sich die Wut auf beiden Seiten. Terror und Gegenterror wechseln einander ab. Leichenberge wachsen, nichts wird besser.

Die Optik ist minimalistisch und liebevoll gestaltet: mit Puppen und Videos, die eindrückliche Doku-Aufnahmen vom Massaker des Militärs an Studenten in Tlatelolco 1968 zeigen oder vom Revolutionsführer Lucio Cabañas Barrientos, der sich 1974 erschoss, um der Gefangennahme durch Regierungstruppen zu entgehen. Am Ende wird eine lange Leseliste eingeblendet. Eine für 90 Minuten gehaltvolle Aufführung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2012)

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