Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Zeitlupe

(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
  • Drucken

Marthaler zerdehnt den „kleinen Totentanz“ aus den Dreißigerjahren. Dabei ist eine Art „Monty Python“ für bedächtige Schweizer entstanden. Seine Fangemeinde wird ihn für diese hoffnungslose Häresie lieben.

Der Dirigent ist um Präzision bemüht. Mit großer Geste winkt sich Clemens Sienknecht durch Anklänge an Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ und Verfremdungen von Chopins „Marche funèbre“, doch der Einsatz ist gespielt: Im Orchestergraben sind nur Lautsprecher platziert. Aus ihnen klingt es wie aus den frühen Tagen des Radios. Auch das Bühnenbild vermittelt Vergangenheit. Wie der Eingang zu einem Saal der  Fünfzigerjahre sieht es aus. Der junge Arbeiter, der zuvor auf einer Leiter balancierte, um Buchstaben auf dem Flachdach zu ergänzen und dabei eine Bruchlandung hinlegte, demonstriert, dass es sich um ein Leichenhaus handelt: „Inst“ steht rechts, jetzt kommt links ein „Atom“ dazu.

Wer „Glaube Liebe Hoffnung“ von Ödön von Horváth (1901–1938) kennt, der weiß, dass sich die Buchstaben zu „Anatomisches Institut“ ergänzen. Dort spielt die erste Szene des „kleinen Totentanzes in fünf Bildern“, den Horváth 1932 verfasst hat, der 1933 von den Nazis verboten wurde und deshalb erst 1936 in Wien im „Theater für 49“ am Schottentor uraufgeführt wurde.

Im Stück geht es um falsches Mitleid, bösartige Bürokratie, soziales Unrecht. Gezeigt wird die Zerstörung einer jungen Frau in der Wirtschaftskrise, im Schatten des verheerenden Weltkrieges. Elisabeth ist wegen geringer Vergehen straffällig geworden, will sich eine Existenz aufbauen, gerät an die falschen Männer, stirbt nach einem Selbstmordversuch an Erschöpfung vor den Augen angeblicher Retter. Bei Horváth werden Dummheit und Lüge zügig in wenigen Bildern entlarvt. Er warnt in einer Randbemerkung vor dem Kitsch. Wie also verfährt Christoph Marthaler mit dem Stoff? Er zieht ihn aus wie Strudelteig, reichert ihn mit Zusätzen an. Die Hülle zeigt Horváths Haltbarkeit, die Fülle zeigt, dass der Regisseur sein bewährtes Rezept der Marthalerei beherrscht, egal, welches Hochamt er gerade zelebriert.

Juxspiegelbilder und Parodie

Seine Fans bei den Wiener Festwochen waren nach der Premiere am Mittwoch jedenfalls begeistert von der Interpretation eines alten Meisters durch einen heutigen Meister der Kontemplation. Gut dreieinhalb Stunden dauert das Gesamtkunstwerk. Es zerreißt jenen, die Horváth mehr als Marthaler lieben, das Herz, wenn sie ansehen müssen, wie der Alte ermordet und seziert wird, wie die Nerven seines Stückes freigelegt werden und seine beißende Ironie zermalmt wird durch Juxspiegelbilder und Parodie. Man sieht böse Scherze auf Kosten von Horváth und ahnt dabei: Wenigstens bleibt er dauerhaft, wenn der Zeitgeist längst verweht ist.

Was ist passiert? In aller Kürze: Wo Horváth eine Elisabeth hat, verwendet Marthaler zwei (Sasha Rau, Olivia Grigolli), die Tote gar fünffach. So unterdrückt sind diese Frauen, dass sie unter Aufsicht diverser Männer Kulissen schieben müssen. Ihre Szenen werden geisterhaft verdoppelt. Elisabeth I spielt mit einem alten Schupo (Ueli Jäggi), Elisabeth II mit einem jungen (Thomas Wodianka). Die Differenz erzeugt zuweilen Heiterkeit – oft aber nur Lähmung, weil Horváths Sprachwitz inflationär eingesetzt wird.

Und dann gibt es wieder unnachahmliche Momente. Das Lied vom Kameraden wird dekonstruiert, zwei Veteranen küssen sich danach, enthüllen so das Schwule am Kriegshandwerk. Oder: das verhärmt-geile alte Paar – Josef Ostendorf tanzt mit Irm Hermann, küsst sie. Mehr ist nicht drin. Kopfschüttelnd geht die Frau Amtsgerichtsrat nach links ab, der Herr Amtsgerichtsrat nach rechts. Eine ganze Ehetragikomödie. Oder: Irene Prantl (Bettina Stucky) raucht. Herausfordernd. Die kleinbürgerliche Verdrängung wird richtig schön entblößt. Oder: Jäggi richtet sich das Polizistenkapperl. Mit der immer gleichen Routine. Zack, zack! So ist sie eben, die Exekutive, die blind gehorcht.

Marthalers Team zählt zu den Besten in kleinen Gesten. Das kann so spannend sein, dass sogar Festwochen-Intendant Luc Bondy als Zuseher der Premiere darauf vergisst, mit dem Handy zu hantieren. Am stärksten ist das Ensemble beim sattsam bekannten Musizieren, da werden Bach und Berg und Lehár faschiert zum großen Schweizer Ragout. Doch letztendlich wirken die Gags dazwischen nur wie bedächtige Varianten von „Monty Python's Flying Circus“. Wer möchte davon wirklich eine doppelte Portion?

Nicht nur Elisabeth bleibt hier auf der Strecke, sondern Wesentliches von Horváth – das Lakonische. Seine traditionellen Liebhaber mag das schmerzen, aber was zählt dies bei der Ekstase der Eingeweihten? Wer gesehen hat, wie artig sich Kodramaturgin Stefanie Carp, die zudem auch noch das übrige Theater der Festwochen organisiert, am Ende verbeugt und süß lächelt, der weiß: Man muss sich diese Gemeinde als glücklichen Gesangsverein in Arkadien vorstellen.

Wiener Festwochen

Marthalers Horváth-Paraphrase wird in der Halle E im MQ gezeigt. Bühne: Anna Viebrock, Kostüme: Sarah Schittek, Musik: Clemens Sienknecht, Martin Schütz, Christoph Marthaler, Uli Fussenegger. Koproduktion mit: Volksbühne Berlin, Schauspielhaus Zürich, Théâtre de l'Odéon Paris, Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg. Termine in Wien: 16. u. 18. Juni, 19.30 Uhr, 17. Juni, 14 und 19.30 Uhr

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.