Unter Manuel Legris blüht Wiens Ballett

Unter Manuel Legris blueht
Unter Manuel Legris blueht(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Jubel und hymnische Kritiken auch auf Auslandstournee: Wie kam das Wiener Staatsballett wieder zu internationalen Ehren – und was hat sich gegenüber früheren Zeiten verändert?

Exzellente Kritiken, höchste Auslastungszahlen – das Wiener Staatsballett führt unter Manuel Legris kein Mauerblümchendasein mehr. Legris weiß im Gespräch mit der „Presse“ die neue Lust der Wiener an ihrem Staatsballett knapp und klar zu erklären: „Das Publikum kann sehen, dass uns die Arbeit Spaß macht. Sie sehen glückliche Tänzer auf der Bühne.“

Legris' Geheimrezept: „Ich bin 24 Stunden täglich präsent, oft mit den Tänzern im Studio. So kann ich für jeden die richtigen Rollen aussuchen und das passende Repertoire finden. Auch wenn einer einmal eine schlechte Performance abliefert, versuche ich das immer positiv zu sehen und zu erklären, wie es besser gehen könnte.“

Erfolge im In- und Ausland steigern den Stellenwert der Truppe im Haus. Dank des positiven Feedbacks „schaut jetzt auch die Operndirektion mit mehr Wohlwollen auf das Ballett,“ sagt Legris. Wie im Vorjahr demonstrieren die Tänzer zum Saisonfinale ihr Können wieder im Rahmen einer großen Nurejew-Gala. „Ich will die Compagnie im besten Licht zeigen“, sagt Legris, „ich suche nach Choreografen, die mit Nurejew gearbeitet haben oder Stücke, die mit ihm zu tun haben. Diesmal unter anderem Rudi van Dantzig, der im Jänner verstorben ist und eine sehr starke Verbindung zu Nurejew hatte. Wir zeigen das Pas de six aus ,Laurencia‘ von Wachtang Tschabukiani, das Nurejew am Kirow-Theater getanzt hat und das noch nie in Wien gezeigt wurde. Außerdem haben wir Ausschnitte aus Nurejews ,Nussknacker‘ im Programm – sozusagen als Appetithappen für die Premiere im Herbst.“


Zuwachs für die Compagnie. Zwei neue Solisten werden Ballettfreunde kommende Spielzeit näher kennenlernen. Vera Sabantseva und Robert Gabdullin. Legris: „Es ist sehr schwer, Solisten aufzunehmen, weil bei uns schon die Halbsolisten auf einem sehr guten Level sind. Wenn ich jemanden von außen nehme, muss er besser sein oder etwas Spezielles, um das Niveau der Compagnie zu heben.“

Vera Sabantseva war Solistin in Novosibirsk. Legris: „Eine sehr schöne klassische Ballerina, sehr natürlich, sehr schöne Technik.“ Sie wird Mitte Oktober zum ersten Mal mit Robert Gabdullin im „Nussknacker“ zu sehen sein. Er war zuletzt Erster Solist in Warschau. In Wien wird er zunächst „nur Solist sein: „Ich habe ihn noch nie in einer Performance gesehen und möchte keine Fehler machen,“ sagt der Direktor.

Gabdullin wird bereits bei der Nurejew-Gala erstmals auftreten. Dass die jährliche Leistungsschau dem Andenken des großen Mannes aus Ufa gewidmet ist, ist kein Zufall. Rudolf Nurejew war als Leiter der Pariser Compagnie für Legris' Aufstieg verantwortlich. Er hat die Pariser Truppe auf Hochglanz zu polieren gewusst. Er war aber auch der Abgott der Wiener Tanzfreunde und kann deshalb als Galionsfigur einer Erneuerung des Ballettbewusstseins auch hierzulande dienen.

Immerhin steht sein Name auch für eine Hochzeit der Wiener Tanzkunst. Es war das Wiener Staatsopern-Ballett, mit dem der Star seinen legendären „Schwanensee“ verfilmte. Im Studio war Margot Fonteyn, die englische Diva, seine Odette. Im wirklichen Wiener Ballettleben war es Gisela Cech, die Nurejews Herz gewonnen hatte und seine Traumpartnerin war – auch beispielsweise anlässlich der Premiere von Nurejews zweiter großer Tschaikowsky-Inszenierung, „Dornröschen“, Mitte der Siebzigerjahre.

Gisela Cech war Mitglied einer großteils auf Wiener Humus gediehenen Tänzertruppe. Das macht vielleicht den bemerkenswertesten Unterschied zwischen der heute erreichten Topform der Compagnie und der damaligen Ära aus. Wer die Besetzungszettel der Ära Legris studiert, findet unter den Publikumslieblingen fast ausschließlich russische oder slowakische Namen. Dagmar Kronberger ist als Wienerin eine Ausnahmeerscheinung.


Ballett wurde vernachlässigt.
Die Wiener Tanzgeschichte scheint in der Zeit der bewussten Vernachlässigung des Balletts am Beginn der 1990er-Jahre abgerissen. Erinnern wir uns an Charaktere wie Christl Zimmerl? An ihre bewegende Gestaltung des geschundenen, aber verführerischen Mädchens in Bartóks „Der wunderbare Mandarin“?

Das waren die Jahre der zweiten Direktion des Ungarn Aurel von Miloss, der es gewohnt war, seine choreografischen Arbeiten auf seine Solistenstars zuzuschneidern. Wie er auch darauf achtete, dass die in Wien durchaus beachtliche Tradition von Uraufführungen und Kreationen zu zeitgenössischer Musik nicht vergessen wurde.

Diesbezüglich hat man in Wien schon vor längerer Zeit jeden Ehrgeiz aufgegeben. Vergessen die Zeiten, in denen der junge Nurejew nicht nur als Tschaikowsky-Märchenprinz die Herzen eroberte, sondern mithalf, neue Werke zu erschaffen. In Wien erblickte Nurejews erste eigenständige Choreografie das Licht der Welt: „Tancredi“ zu Musik des jungen Hans Werner Henze.

Der trat damit in die Fußstapfen eines Gottfried von Einem, der für das Wiener Ballett bald nach der Wiedereröffnung des Hauses am Ring, 1955, seine „Medusa“ komponierte und in Erkia Hankas Choreografie der Kunst von Wiener Tanzlegenden wie Edeltraut Brexner ideale Verwirklichungsmöglichkeiten schuf.

In der Ära Miloss vertanzte man dann auch Werke der komponierenden Avantgarde wie Friedrich Cerhas „Relazioni fragili“, zu einem Zeitpunkt, an dem Cerhas Musik sonst kaum Chancen gehabt hätte, zu Staatsopern-Ehren zu kommen.

Die lange Direktionszeit von Gerhard Brunner, Ende der Siebziger- bis Mitte der Achtzigerjahre war dann unter anderem auch geprägt durch Neukreationen, die eigens für die Truppe geschaffen wurden, darunter besonders erfolgreich die Arbeiten von John Neumeier, der mit der „Josephslegende“ (Richard Strauss) in Bühnenbildern des fantastischen Realisten Ernst Fuchs eine Sensation schuf – freilich nicht von hauseigenen Solisten getragen, sondern mit spektakulären Gästen wie Kevin Haigen und der langgliedrigen Judith Jamison, wovon eine Filmversion noch kündet.


Keine „wienerische Note“ mehr. Aus dem Wiener Ensemble heraus entwickelte sich damals auch ein Choreograf, der eine „wienerische Note“ mit moderner Tanzkunst zu vereinen verstand: Bernd R. Bienert schuf als Erstlingswerk auf der Staatsopern-Bühne „Alpenglühn“ (im Verein mit dem Komponisten Thomas Pernes, der Tänze der Ausseer Bradelmusi mit Avantgardeklängen verschmolz). Doch solche Pflänzchen zog man in Wien nicht mehr groß. Bienerts wichtigste – und durchaus Wien-bezogene – Werke wie die ungemein musikalischen, einfühlsamen Tanzversionen Mozart'scher Klavierkonzerte – kamen anderswo (in Zürich oder Saarbrücken, also auf wenig fruchtbarem Boden) heraus.

Erlahmt ist in den späten Achtzigerjahren auch der Ehrgeiz, bedeutende Choreografien im Repertoire zu halten, um prominenten Gästen die Chance zu geben, in Wien zu brillieren. Dass es zumindest zu zwei Auftritten der Legende Mikhail Baryshnikov in Wien gekommen ist, verdankt man der Tatsache, dass die Staatsopern-Compagnie imstande war, Balanchines „Apollo“ zu tanzen. So waren auch Solisten des Moskauer Bolschoi-Balletts zu Gast und man konnte nachmittags verfolgen, wie Wiener Solisten (etwa Michael Birkmeyer) sich im klassischen „Nussknacker“ schlugen, während abends in denselben Dekors Wjatscheslaw Gordejew seine Sprungmacht demonstrierte.

Manuel Legris hat bei Amtsantritt nur eine Choreografie „geerbt“, die aus jener Zeit überdauert hat: John Crankos „Romeo und Julia“ ist aus den Siebzigerjahren noch spielfähig. Selbst Nurejews „Schwanensee“, als Choreografie noch erhalten, wurde bereits durch ein neues Bühnenbild entstellt – wird aber vielleicht im Rahmen der laufenden Wiedergewinnungsmaßnahmen erneut in altem Glanz erstehen...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)

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