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Pussy Riot: Der Kreml im Dilemma

(c) EPA (MAXIM SHIPENKOV)
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Im Prozess gegen die Sängerinnen der russischen Punkband Pussy Riot forderte der Staatsanwalt wegen Rowdytums aus religiösem Hass drei Jahre Haft. Das Urteil folgt nach nur einer Woche Prozessführung am Mittwoch.

Moskau. Zum Schluss sprang vor allem das Tempo ins Auge. Zwar wurde schon in den ersten Tagen des Prozesses gegen die Sängerinnen der russischen Punkband Pussy Riot im Marathon verhandelt und den Angeklagten kaum Zeit zum Ausschlafen gewährt. Später aber wurde eine Reihe von Zeugen der Verteidigung gar nicht mehr vorgeladen. Und am Dienstag kam nach nur einer Woche Prozessführung und den abschließenden Plädoyers die Wahrheit auf den Tisch: Der Staatsanwalt fordert für die drei jungen Frauen, von denen zwei Kleinkinder zu Hause haben, drei Jahre Haft wegen Rowdytums aus religiösem Hass. Die Frauen hätten die Gefühle von Gläubigen absichtlich und grob verletzt.

Zur Erinnerung: Pussy Riot war vor den Präsidentenwahlen im Februar in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale aufgetreten und hatte vom Ambo aus die Gottesmutter um die Vertreibung Wladimir Putins aus der Politik gebeten. Die Kirche wertete die Aktion als Blasphemie. Die Frauen, die sich zuletzt bei den Gläubigen entschuldigt und auf dem politischen Motiv ihrer Aktion bestanden haben, sitzen seit März in Untersuchungshaft.

Solidarische Kunstwelle

Während Teile der Bevölkerung die Inhaftierung der Aktivistinnen unterstützen, sprechen andere von einer förmlich mittelalterlichen Hexenverfolgung. Der Prozess markiert dabei den Höhepunkt einer Reihe von repressiven Maßnahmen, mit denen die Machthaber auf die Proteste seit Dezember des Vorjahres reagieren. Zahlreiche Größen des internationalen Musikgeschäfts wie Madonna oder Sting sowie Topvertreter der russischen Kunstszene haben sich mit den Frauen solidarisch erklärt. Zuletzt kritisierten 121 Parlamentarier aller fünf Parteien des deutschen Bundestages in einem Brief an den russischen Botschafter, dass eine friedliche Kunstaktion als schweres Verbrechen geahndet werde.

Dass die Staatsanwalt nur drei Jahre Haft fordert und damit um vier Jahre unter dem gesetzlichen Höchstmaß blieb, wird von Beobachtern vor allem Putin zugeschrieben. Er nämlich hat vor wenigen Tagen für Milde plädiert, nachdem er anfänglich wohlgemerkt noch eine harte Bestrafung gefordert hatte – wobei er beide Male öffentlich jene politische Einmischung in den Prozess kundtat, deren Realität in Russland auch so niemand anzweifelt.

Als mild freilich kann die Forderung der Staatsanwaltschaft dennoch gelten. Realistischerweise nämlich hatte niemand erwartet, dass die jungen Mütter selbst vor dem Hintergrund der zunehmenden Repressionen sieben Jahre ausfassen würden. Gut möglich und sehr wahrscheinlich daher, dass die Richterin am heutigen Mittwoch die Strafe weiter abmildern werde, wie Igor Bunin, Direktor des Moskauer Zentrums für Politische Technologien, gegenüber der „Presse“ erklärt. Als eine der Varianten gilt, dass die Frauen zumindest bis zum Ablauf der kürzlich bis Jänner 2013 verlängerten Untersuchungshaft hinter Gittern bleiben. In der Tat befinden sich die Behörden im Dilemma. Der Prozess hat das Image des Kremls in der Welt und in der russischen Intellektuellenschicht weitaus mehr angepatzt, als die Behörden geahnt hatten.

Und der Imageschaden weite sich aus, meint Bunin: Je länger das Volk, das die Kunstaktion eigentlich verurteile, die jungen Frauen vor Gericht sehe, umso mehr erachte es die Justiz als politisch gelenkt, was die ohnehin erodierende Macht des Kremls weiter untergrabe. Auf der anderen Seite sei für Putin eine schnelle Freilassung psychologisch schwer hinnehmbar. „Der Kreml hat Angst, dass Pussy Riot und damit indirekt die Opposition einen Triumph feiert.“

Auf einen Blick

In einem Punkgebet hat die Band Pussy Riot im Februar in der Moskauer Erlöser-Kathedrale um den Rücktritt Putins gefleht. Seither sitzen die drei Künstlerinnen in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt forderte nun eine dreijährige Haftstrafe. Das Urteil wird heute, Mittwoch, erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2012)

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