Tanita Tikaram: Analoges Wunderland

Die Hitparaden-Stürmerin des Jahres 1988, Tanita Tikaram, ist zurück. Auf ihrem jüngsten Album zieht die Sängerin mit der rauen Stimme neue Saiten auf.

Du wirst nie mehr sein als ein Fehltritt meiner Nüchternheit“ – eine Zeile aus Tanita Tikarams bekanntestem Song „Twist In My Sobriety“. Die in Deutschland geborene Britin, Tochter eines Soldaten und einer Malayin, hat nach sieben Jahren Pause wieder ein Album aufgenommen. In „Can’t Go Back“ zeigt sie sich unter anderem als nachdenkliche Frau mittleren Alters. Dem „Schaufenster“ erzählte sie in einem Wiener Hotel von der Balance zwischen Simplizität und interessanter Struktur, was ihr Ohr beleidigt und von ihrem bescheidenen Leben.

Was waren Ihre künstlerischen Ambitionen mit dem neuen Album „Can’t Go Back“?


Meine grundsätzliche Idee war, Lieder zu machen, die gleichzeitig groovy und intim sind. Zudem waren vom tontechnischen Standpunkt her Klarheit und eine gewisse Wärme wichtig. Vielleicht klingt das schon altmodisch? Wir haben aber sogar unser Studio, das berühmte Sound Factory in L. A., nach unseren Bedürfnissen ausgesucht. Es ist eine Art analoges Wunderland.

Ihre Liedersammlung startet mit „All Things To Do“ erstaunlich flott. Wie kam das?

In den letzten Jahren habe ich mich viel mit Musik beschäftigt, die groovt. Auch wenn meine Musik immer zurückgenommen klang, war ich doch immer Fan von Rockmusik. Ich hatte nun mal Lust auf Musik, die meine andere Seite reflektiert.

Betreut wurde Ihr Album von Paul Bryan, einem Produzenten und Musiker, der vor allem für seine Zusammenarbeit mit Aimee Mann und Lucinda Williams bekannt ist. Was war die größte Herausforderung?

Paul hat wirklich namhafte amerikanische Musiker zusammengetrommelt und die Aufnahmen perfekt vorbereitet. Für mich war es vor allem wichtig, mich von den Musikern nicht einschüchtern zu lassen. Sie waren dankenswerterweise sehr nachsichtig mit mir und meinen eingeschränkten Fähigkeiten. Ich schrieb all die Songs im stillen Kämmerlein. Es war eine Art von Schock, sie dann von diesen Profis so viel besser gespielt zu hören.

Was macht für Sie die Qualität eines Songs aus?

Ein Lied sollte über eine gewisse Simplizität verfügen, ohne auf eine interessante Struktur zu verzichten. Mein Ohr ist beleidigt, wenn von den Harmonien her nichts weitergeht.

Haben Sie ein Lieblingslied auf Ihrem neuen Album?

Eigentlich ist es „Make The Day“, auf das ich stolz bin. Da ist viel Platz zwischen den Noten und doch breitete dieser Song eine Art emotionaler Landkarte aus, ohne von Liebe zu handeln.

Zwei Songs sind Duette mit Grant Lee Phillips. Wie war das für Sie, um eine männliche Stimme herumzumäandern?

Das war natürlich aufregend. Grant hat eine wirklich einmalige Stimme und die Fähigkeit, unbewusst Ambivalenzen einzubauen. Er hat etwas Cowboyhaftes, eine Aura, der man nicht ganz trauen kann. Das fand ich aufregend. Erstaunlich war für mich, wie gut unsere Stimmen harmonierten.

Wann berührt Sie der Gesang von anderen?

Das ist natürlich schwierig zu beantworten. Ich bin ein Fan von technisch exzellenten Vokalisten wie Ella Fitzgerald, Frank Sinatra und Roberta Flack. Natürlich mag ich auch Stimmen, bei denen es weniger um Virtuosität als mehr um den Charakter geht, wie bei Joe Henry oder eben Grant Lee Phillips.

Hatten Sie jemals Vorbilder?

Natürlich, bloß konnte ich nie so singen wie sie.

Aber findet man nicht in solchem Versagen am ehesten die eigene Stimme?

Wahrscheinlich schon. So gesehen wäre ich eine brillante Versagerin. Ich hatte beim Singen immer die Stimmen von Ella Fitzgerald, Dusty Springfield und Nina Simone im Kopf. Oder die von Shelby Lynn. Am Ende tönte alles doch wie Tikaram. Was letztlich gut ist, weil es um Authentizität geht. Nicht ohne Grund schrammt man an seinen Vorbildern vorbei. Man darf das nicht als Fehlleistung interpretieren, sondern muss lernen anzuerkennen, dass man eine individuelle Stimme hat. Das ist nicht zufällig genau verkehrt proportional zu dem, was in all den Castingshows propagiert wird, wo berühmte Sänger auf geradezu peinliche Art und Weise kopiert werden.

„Can’t Go Back“ gibt es auch in einer liebevoll gestalteten 2-CD-Ausgabe. Sehen Sie die Zukunft des Albums als eine eigenständige Kunstform gefährdet?

Was derzeit passiert ist eine Schande. All diese Internet-Playlists, all dieses Downloaden von einzelnen Songs. Ich verbringe viel Zeit damit herauszufinden, was die optimale Reihenfolge meiner Lieder ist. Heute scheint es, als könne der Künstler nicht mehr über die Dynamik seines Albums bestimmen. Da läuft etwas fundamental falsch. In meiner Generation hat man mit einem Album gelebt, hat man konzentriert zugehört. Ich schwöre immer noch auf die Schallplatte.

Sie nahmen sich sieben Jahre Zeit, wieder etwas aufzunehmen. Was haben Sie dazwischen getan?


Ich habe viel relaxt. Ich habe einen sehr einfachen Lebensstil, ich brauche nicht viel.

Leben Sie noch in London?


Ja, natürlich. London verliert nichts von seiner Faszination, im Gegenteil: Die Stadt ist voller Geister. Für mich ist London der Inbegriff der endlosen Stadt, in der es permanent neue kreative Blasen gibt. Zurzeit ist es das East End, wohin ich gerne immer mal ziehe, wenn ich neue Kleidungsstile sehen will. Sonst bin ich eine leidenschaftliche Nordlondonerin. Ich lebe in der Nähe des Regent’s Park. Das Umfeld hier ist eher idyllisch als funky.

Sind die Tauben im Regent’s Park immer noch so aggressiv?

Ja, das sind sie. Ich mag sie gar nicht. Eine meiner Schreckensvisionen ist, dass ich, wenn ich mal alt bin, im Park sitze und die verhassten Tauben füttere.

Geboren wurden Sie aber im deutschen Münster. Dort lebten Sie auch einige Jahre. Fühlen Sie eine besondere Verbindung zu Deutschland?

Höchstens zur Bratwurst. Ich darf sie aber nicht essen, weil ich Vegetarierin bin. Dennoch, sie lockt mich.

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