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Depeche Mode: Zur Erlösung zischelt der Synthesizer

(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Depeche Mode stellten bei einem Event im Wiener Museumsquartier fünf Songs ihres neuen Albums "Delta Machine" vor. Der Rest war Routine zwischen "Personal Jesus" und "Enjoy The Silence".

Erstaunlich, wie sehr bei Depeche Mode Realität und Selbstbild auseinanderklaffen. Diese Band definiert sich gern als „odd“, also als wunderlich und befremdlich, und trottelt trotzdem in Sendungen wie „Wetten, dass..?“. Und Sänger David Gahan wähnt sich trotz vieler Millionen Pfund auf dem Konto immer noch im Schatten der Welt, wo er, nur Narr und Dichter, tapfer im Dunklen tappend nach Ideen einer Erlösung sucht. Seit 15 Jahren dem Alkohol und den Drogen abhold, zehrt er noch immer von seinen Tagen der Sucht. Und manchmal überträgt er den Schwung seiner Selbstrettung auf die ganze Welt. In „Heaven“, dieser so passend in einer verrottenden Kirche visualisierten ersten Single, präsentiert er einen zweiteiligen Kunstgriff, der aus der Bibel stammen könnte: „I will scream the word ,Jump into the void‘, I will guide the world up to heaven.“

Kein Zweifel, dieser Mann liebt den Gestus des Ersatzheilands. Der Refrain von „Heaven“ erklingt konsequent gospelig: „I dissolve in trust, I will sing with joy, I will end up dust, I'm in heaven.“ Das könnte auch durch die Mauern einer Kirche in Mississippi oder Alabama dröhnen. Die Melancholie birgt bei Depeche Mode verlässlich Heilsversprechen. Nach dem üblichen Herumgrundeln im Purgatorium von Zweifel und Sünde darf es nicht wundern, wenn man des Engels der Liebe ansichtig wird.

Praktischerweise heißt das Lied gleich „Angel“. Mit ihm begannen Depeche Mode ihre Visite im Museumsquartier. „The angel of love was upon me, and Lord, I felt so small“ greinte Gahan wissend. Sein leicht verwirrter Songprotagonist spürt, wie sich seine Zunge ohne Zutun des Willens bewegt. Ein bisserl Glossolalie und dann ganz viel Erlösung: „Reveal is beyond me, I was lost, I was found“ grummelte Gahan zum nervösen Synthie-Zischeln. Dann der erlösende Schrei: „With elevated senses I can see and taste sound“ – und am Ende rieselt allumfassender Friede. „Oh, leave me here forever more, I found the peace, I've been searching for.“

Solch lyrische Verstiegenheiten, die größtenteils immer noch der Hauptkomponist der Band, Martin L. Gore, dem nicht uncharismatischen Sänger Gahan auf die Stimmbänder projiziert, werden auf dem neuen Album geschickt durch uralte Maschinenklänge kontrastiert. Die Ästhetik von Depeche Mode war von jeher durch jenen Widerspruch gekennzeichnet, den der aktuelle Albumtitel „Delta Machine“ kurz fasst. Da ist auf der einen Seite der Blues, der das Dasein im Schmerz zelebriert; und dann ist da das Ächzen der Maschinen, das dieses menschliche Weh kühl relativiert.

Heute, da das Digitale Mainstream ist, suchen Depeche Mode klugerweise Zuflucht bei modularen Riesensynthesizern aus dem vorigen Jahrtausend. Mit solchen Geräten, die man mit Steckverbindungen zum groben Tönen bringt, haben Klaus Schulze, Neu! und Kraftwerk Anfang der Siebzigerjahre Elektronik auf die Landkarte des Pop gewuchtet. Damals hatte alles Elektronische noch eine Anmutung von Abenteuer. Das Depeche Mode noch immer suchen. Gefunden haben sie es in den 13 oft schmerzhaft angenehm zu hörenden Liedern von „Delta Machine“ dann nicht so oft. Ein wenig Wagnis findet sich etwa in „Should Be Higher“, das auch live einigermaßen prickelnd gewesen ist. Geschrieben hat diesen Song Gahan mit dem Schweizer Kurt Uenala, wie auch seine beiden anderen kompositorischen Beiträge, „Broken“ und „Secret To The End“.

Kuschelideal: „Soothe My Soul“

Noch besser tönte das von einem stampfenden Rhythmus getriebene „Soothe My Soul“, das schlicht das Kuscheln der Körper idealisiert. Mit dem Propagieren von kleinbürgerlichen Idealen wie der fixen Partnerschaft sind Depeche Mode längst selbst im Mainstream angekommen. Keine Outlaw-Band verkauft 100 Millionen Tonträger. Daran ist nichts falsch, solange die Musik noch Spannung in sich trägt. Anders als das routiniert abgearbeitete Konzertset im Museumsquartier birgt „Delta Machine“ durchaus ein paar bewegende Momente: das Preisen der Leere in „My Little Universe“ oder das Lob der Entschleunigung in „Slow“. Am schönsten wirkt das Auseinanderklaffen von Form und Inhalt, wenn sich Depeche Mode ins bluesige Idiom zwängen und dabei haltlos Optimistisches verzapfen wie in „Goodbye“. Das Lied gipfelt in einer befremdlichen Erkenntnis: „Now misery is strange.“

Zur Band

Depeche Mode aus Basildon (Essex, England), benannt nach einem französischen Modemagazin, entwickelten Anfang der 1980er-Jahre mit Hits wie „People Are People“ eine massentaugliche Synthie-Pop-Formel. Mit leiser Selbstironie nannten sie 1987 ein Album „Music For The Masses“. In Songs wie „Personal Jesus“ spielten sie mit religiösen Inhalten, während sie allmählich Elemente des Rock integrierten. Ihr neues Album „Delta Machine“ ist das erste bei Sony.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2013)

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