Pop

„Paradies naiv“ : Zucker im Kaffee, Strom im Blut

Laing
LaingUniversal
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Das Berliner Girl-Quartett Laing punktet mit schnoddrigem Elektropop. Ihr erstes Album zählt zu den erfrischendsten Werken des noch jungen Popjahres.

Die Gefahr der Geschmacksverirrung wächst mit der Dicke der Brieftasche. Da in Berlin, Europas Hauptstadt der Bohemiens, die Hosensäcke nur selten wegen der mitgeführten Beträge ausgebeult sind, besteht dort diesbezüglich wenig Gefahr. Die schillernden Welten, die in Berliner Großhirnrinden schweben, werden meist sehr nüchtern in die Wirklichkeit katapultiert.

Schnoddrig war der Ton schon bei den Damen aus der Schöneberger Sedanstraße, Marlene Dietrich und Hildegard Knef. Eine freche Schnauze brauchten auch die Heldinnen der Neuen Deutschen Welle. Genau in diese Kerbe schlägt die 2007 von Nicola Rost gegründete Berliner Elektropopband Laing. Der „ollen“ Zweierbeziehung wird auf „Paradies naiv“ vergnügt der Garaus bereitet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Beim Dreier teilt man auch das Leid durch drei, und man muss den Müll nur jeden dritten Tag hinunterbringen. Außerdem probieren ohnehin alle die Liebe zu zweit. Lieber neues Land betreten, sagen Laing, mit ein wenig Augenzwinkern. Zynismus wäre ein zu derbes Wort dafür. Und so tänzeln die kühn harmonisierten Stimmen auf den Schwingen einer künstlich aromatisierten Keyboardmelodie und erfrischend geraden Rhythmen. Das Klangbild erinnert an Trio, allerdings hat Rost gar nichts mit NDW am Hut. „Das hab ich nie gehört“ sagt sie, die ihren Ingwertee gern im legendären Schwarzsauer in der Kastanienallee schlürft. „Damit kann ich nichts anfangen. Ich bin mit der Dancemusic der frühen Neunziger groß geworden.“

Traum von der Menschmaschine

Heute hört sie gern Hip-Hop, Orchestermusik, Elektronik und Vierzigerjahre-Vokaljazz. Und schafft es, Spuren all dieser Genres in ihren Elektropop zu versenken. Neben ihrer vifen Art, heulenden Gesang mit sterilen Beats zu verbinden, faszinieren ihre illusionslosen, manchmal delikat doppeldeutigen Texte – die zuweilen doch eindeutig sind. „Ich weiß, wie du beim F**ken klingst, doch ich konnte mir nicht merken, dass du Kaffee gern mit Zucker trinkst“, trällert sie in „Mit Zucker“, einem Song, der das Ende eines One-Night-Stands ohne falsche Poesie schildert. „Willst du einen Löffel oder zwei, gegen den bitteren Geschmack?“, fragt die Dame des Hauses dann doch einigermaßen gefühlvoll. Auch im schräg hoppelnden „Pleite“ will sie gern in Liebe baden, allein der böse Bube zieht den Stöpsel der imaginären Wanne. Am Ende ist das Mädel emotional ruiniert.

So kommt Sehnsucht nach einem Leben als Menschmaschine auf: Der deutlich an Kraftwerk angelehnte Song „Maschinell“ schwärmt für Antennen unter den Fingerspitzen, Strom in den Venen und quer durch den Kopf gespannte Kabel. Technikverliebtheit regiert auch die Tanznummer „Nacht für Nacht“: Rost preist die Wonnen, die ein Gasfuß auf nächtlicher Straße schenkt; sie spürt den Motor im Bauch, bläst im Vorbeifahren alle Ampeln aus. Kein Wunder, dass man bei einem solchen Lebensstil „Morgens immer müde“ ist. Es war ein genialer Kniff, den gleichnamigen jazzigen Schlager von Trude Herr ins heftig blubbernde Elektro-Arrangement zu pressen. In der „Bar zum flotten Penner“ tanzt die Heldin die Männer an die Wand, nach dem Motto „Morgens bin ich immer so solide, aber am Abend werde ich schwach“. Keine schlechte Voraussetzung für eine solide Karriere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2013)

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