Ludovico Einaudi: Intensiv leben!

Der Musiker Ludovico Einaudi lässt sich von Virginia Woolf und Anselm Kiefer inspirieren – und will Menschen die Zeit neu erfahren lassen.

Der Pianist Ludovico Einaudi, 1955 in Turin geboren, ist Spross einer in Italien sehr bekannten Familie. Sein Vater war der Verleger Giulio Einaudi, der 1933 das heute noch bestehende, sehr renommierte Verlagshaus Einaudi gegründet hat. Luigi Einaudi, einer seiner Großväter, war von 1948 bis 1955 italienischer Staatspräsident. Ludovicos Kindheit war vom Kontakt mit Politikern und Künstlern geprägt. Er entschied sich früh für die Sphäre der Ästhetik. Zunächst studierte er klassische Musik am Conservatorio Giuseppe Verdi, später beim Avantgardisten Luciano Berio sowie im Tanglewood Music Center in den USA. Musikalisch irrlichtert Enaudi zwischen Kammer- und Orchestermusik, Ethno und Ambient-Pop. Sein zwölftes Album nennt sich „In A Time Lapse“ und beherbergt sublime Texturen zwischen Ambient und Klassik. Das „Schaufenster“ traf ihn in London am Rande einer Yellow Lounge.

Sie haben gestern Abend hier im Londoner Elektronikclub Fabric vor jungen Menschen aufgespielt. Was halten Sie von Konzepten wie dem der Yellow Lounge, bei dem versucht wird, Klassik in neuem Kontext zu bringen?

Mir gefällt das Yellow-Lounge-Konzept sehr, sehr gut. Man kann eine ganz andere, viel intimere Beziehung zu seinem Publikum aufbauen. Das ist zwar mit einem Verlust gewisser spielerischer Nuancen verbunden, wird aber mehr als aufgewogen durch die kommunikative Innigkeit. In der Fabric hab ich mich sehr gut gefühlt. Es haben ja schon viele Kollegen, etwa Daniel Hope, ähnlich gute Erfahrungen gemacht.

Die Hoffnung hinter dem Konzept ist ja, dass man Menschen, die normalerweise keine Klassik hören, an einem Ort abholt, den sie gern frequentieren. Kann das funktionieren?

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht an solche Pädagogik. Die Musik selbst muss so stark sein, dass sie, egal, an welchem Ort, überzeugt.

Sie locken auch sehr viele junge Leute in die klassischen Konzertsäle. Warum zieht Ihre Musik die Jugend derart an?

Nun, ich arbeite seit vielen Jahren daran, dass sie offen in viele Richtungen ist. Es gibt Spuren der Klassik darin, aber sie hat auch sehr viele Anbindungen an die Musik der letzten fünfzig Jahre, etwa an Folk, Ambient und Pop. Aber es ist nicht so, dass ich nach einem fertigen Rezept komponiere. Mein Publikum schätzt es wohl, dass in meiner Musik gewisse bekannte melodische und harmonische Ideen mit viel Sinn für Raum weiterentwickelt werden. 

Luciano Berio, experimenteller Musiker und Elektronikpionier, war einer Ihrer Lehrer. Was war die wichtigste Lektion, die Sie bei ihm gelernt haben?

Mit ihm über Musik zu sprechen, war äußerst erhellend. Er thematisierte nämlich lieber jene Dinge, die um die Musik herum sind, als die Musik selbst. So blickte er einmal zum Himmel, wo eine Schar Vögel ihre Runden zog, und regte an, diese Bewegungen in Musik zu übersetzen. Berio war ein Mann, der die Musik stets in größeren, oft philosophischen Zusammenhängen sah. 

Ihr neues Album ist „In A Time Lapse“ betitelt. Welche Funktion hat das in unseren Zeiten großer Hektik?

Ich reise in den letzten Jahren sehr viel. Dabei fällt mir auf, dass es überall ähnlich ist: Die Leute verlieren in der Hektik ihr Gefühl fürs Leben. Das ist so anders als in der Kindheit, in der man in versonnener Beschäftigung so intensiv lebt, dass man dabei die ganze Welt vergisst. Als Erwachsene sind die Menschen dann so aufgescheucht, dass sie herumlaufen, ohne den eigentlichen Grund dafür zu wissen. Natürlich glaubt jeder, das alles wäre überlebensnotwendig. Ist es aber meistens nicht. Die Idee meiner Musik ist, die Menschen die Zeit anders erfahren zu lassen. Da kann ein Rhythmus jäh zu Ende sein, da kann selbst ein Sound verstummen, wichtig ist, dass man die Stille hinter der Musik wahrnimmt.

Sie verwenden an einer Stelle sogar einen Moogsynthesizer. Warum?

Um sozusagen im Klangaquarell dicke, fette Striche machen zu können. Mich fasziniert der Klang dieser alten Geräte.

Was war die Inspiration für die Komposition „Newton’s Cradle“?

Ich habe mich für ein früheres Projekt sehr mit wissenschaftlicher Literatur zum Thema Elemente beschäftigt und dabei ein paar musikalische Ideen gehabt, die ich bei diesem Stück nun untergebracht habe. Mir haben die Geräusche. die so ein Kugelstoßpendel à la Newton macht, schon im Physikunterricht sehr zugesagt. Das ist meine späte Reflexion dazu.

Sie haben mit Ballaké Sissoko zusammengearbeitet, einem famosen Kora-Spieler aus Mali. Was hat Sie das gelehrt?

Vor allem auch, dass Afrikaner ein ganz anderes Zeitgefühl haben als wir Europäer. Was mich an afrikanischer Musik zudem fasziniert, ist, dass sie noch viel mehr im wirklichen Leben verwurzelt ist als bei uns. Dort dauern Lieder durchaus auch zwanzig Minuten und sind oft Teil des Alltags, werden bei bestimmten Verrichtungen angestimmt. Die Instrumentenbeherrschung wird bei den
Griots, der musikalischen Kaste, vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Das ist natürlich eine ganz andere Schule als unsere anonymen Musikhochschulen.

Wie wichtig ist für Sie die Inspiration durch andere kreative Disziplinen, zum Beispiel die Literatur oder die bildende Kunst? Immerhin haben Sie bereits Virginia Woolf vertont und mit dem Maler Anselm Kiefer gearbeitet.

Ich bin richtig hungrig nach solchen Inspirationen. Mit Kiefer teile ich das Bedürfnis nach einer Art Anfangsschock, nach etwas, was mich künstlerisch in Bewegung bringt. Ich hab 2006 in Mailand in seiner Installation „The seven celestial palaces“ improvisiert. Das war ein besonderer Moment. 

Sie komponieren in den letzten Jahren auch viel Musik für den Film. Wie kommen Sie mit den damit einhergehenden Limitationen zurecht?

Sehr, sehr gut. Es sind gerade diese Begrenzungen, die die Freiheit spürbar machen. Man ist natürlich nicht nur bei der Arbeit an Soundtracks in einen gewissen Rahmen gezwängt. Bei ganz normalen Alben ist es gar nicht so anders.

Was tun Sie zwischen Ihren Aufnahmen? Genießen Sie das stille Leben auf Ihrem Weingut im Piemont?

Nicht wirklich. Das ist ein bisserl eine Legende. Ich bewohne zwar ein Haus auf diesem Weingut, lebe aber meistens in meiner Wohnung in Mailand, weil ich da besser an die Welt angebunden bin. Vielleicht fünfzig Tage im Jahr bin ich auf dem Weingut. Ich versuche gerade, mir auch dort ein kleines Studio einzurichten. Dort bin ich aufgewachsen, dort fühl ich mich ganz bei mir.

Sehen Sie Parallelen zwischen der Erzeugung von gutem Wein und gehaltvoller Musik?

Beim Wein ist es die Erde, auf der er angebaut wurde, die wesentlich ist, aber auch die Verfeinerungsarbeit, die die Menschen in ihn investieren. In der Musik ist es ähnlich. Auch wenn am Ende mein Name drübersteht, ist es im Grunde das Ergebnis einer kollektiven Anstrengung. Ein Musikstück sollte man zudem wie ein gutes Glas Wein analysieren können. Beides sollte eine Welt für sich sein.

TIPP

Ludovico Einaudi spielt am 11. April im Wiener Konzerthaus. („Islands“, „Una Mattina“, „In a Time Lapse“ auch bei Itunes).

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