Peter Weibel spielt Urknall

PETER WEIBEL
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Das Donaufestival begann mit Populärwissenschaftskunst von gestern, Nerd-Avantgarde und gut aufgewärmtem Krautrock.

Nein, es war gar nicht vornehm von Peter Weibel, seinem Hotel Morphila Orchester kurz vor dem geplanten Konzert beim Donaufestival per „Presse am Sonntag“ auszurichten, dass er es „im Grunde“ nicht brauche. Aber es war auch übertrieben von der Band, darauf gleich abzusagen. Man weiß doch, wie die Herren Bandleader sind! Gewiss, Peter Weibel ist nicht Mick Jagger und Hotel Morphila sind nicht die Rolling Stones, aber diese haben doch vorgelebt, dass man gewisse Kränkungen durch Kollegen mit Würde wegstecken kann, der guten Sache des Rock'n'Roll zuliebe...

Schade für das Donaufestival war's jedenfalls. Und für Weibel. Der (schon vor 30 Jahren) zeitlose dunkle Rock des Hotel Morphila Orchesters hätte seinen Auftritt vielleicht davor bewahrt, zur Nostalgieshow zu werden, zur leicht peinlichen Erinnerung an die Zeit, als ein paar generös aus der Populärwissenschaft entlehnte Brocken in den Künsten als cool galten; je fraktaler und unschärfer, umso besser.

Nicht ganz Jimi Hendrix...

Um nichts weniger als den Urknall, den Ursprung des Universums sollte es diesfalls gehen. Und um das Rauschen, die Hintergrundstrahlung im All. Die Weibel zum „Rauschen des Urknalls“ erklärt. Was ein ziemlicher Blödsinn ist. Beim Urknall hat, soweit wir das wissen können, gar nichts gerauscht (und auch nichts geknallt). Die Hintergrundstrahlung ist ca. 380.000 Jahre nach dem Urknall entstanden. Dass manche Physiker vom „Echo des Urknalls“ reden, ist bestenfalls poetische Freiheit.

Aber Weibel will ja noch größere Worte: Das Rauschen sei „der eigentliche Hammer Gottes“, erklärt er in einem Text, den er während der Performance – zu Schreibmaschinensounds, apropos Nostalgie – tippt; am Anfang sei nicht das Wort gewesen, sondern der Knall, das Rauschen, der Lärm. Eingeleitet wurde dieser Exkurs von Weibel, indem er ein Seil schwang und dazu in schöpferischer Pose „Wa!“ rief. Ob das Seil eine Liane, der Strick Gottes oder ein Superstring gewesen sein sollte, blieb wenigstens der Fantasie überlassen. Ein wenig später illustrierte er seine These, dass in der digitalen Demokratie jeder Gegenstand jeden Ton erzeugen könne, durch E-Gitarrentheater im Stil, aber durchaus nicht von der Eleganz eines Jimi Hendrix.

Ist ja auch egal, schließlich sind wir alle Daten, wie Weibel in einem Song erklärte, untermalt mit wilden Nullern und Einsern. Hier traf sich die Ästhetik von Kraftwerk mit der des neueren Bildungsfernsehens: Weibels Mitarbeiter vom ZKM Karlsruhe haben brav gearbeitet, auch die 3-D-Effekte würden jede Klassik-Rock-Revivalshow zieren. Dass er mit dem Zeitgeist noch immer per Du sein will, demonstrierte Weibel schließlich, indem er ein iPad noch inniger würgte als davor die Gitarre. Letzte Worte: „Noise – der Klang des Universums.“ Kein rauschender Beifall.

Avantgarde-Rock am Ende

Deutlich weniger Sinnstiftung im Sinn hatte die erste leibhaftig erschienene Band des Abends: Der Sänger der Bastards Of Fate gab stolpernd und kieksend einen Nerd, der seine eigene Verschrobenheit ins Komische überhöhen will, aber dadurch noch verschrobener wird. Hier ist nichts mehr zu wollen. Avantgarde-Rock am Ende.

Trost fand man bei einem altväterlichen Genre, das sich immer mehr als Oase des Trostes in der Wüste des einst unter „progressiv“ firmierenden Rock konsolidiert: dem „Krautrock“, jener meditativen, doch nie aufdringlich verinnerlichten Musik aus dem Deutschland der Siebziger. Geoff Barrow, Chef der britischen Trip-Hop-Melancholiker Portishead, orientiert sich mit seiner Zweitband Beak an dieser zeitlosen Tradition, mit berührend schlichter Orgel und Freude an Rhythmen, die die Erscheinungen dieser Welt nicht zur Kenntnis nehmen. In den besten Passagen klang das wie „Hallogallo“, die erste Nummer auf der ersten Platte der deutschen Band Neu! (1972).

Deren Gründer, Michael Rother, kam dann selbst auf die Bühne, um mit der jungen Band Camera die alten Geister zu beschwören. Es war spät, lange nach Mitternacht, doch hier spürte man sie, die silberne Sehnsucht einer frühen, morgendlichen Zeit.

Das Donaufestival in Krems läuft noch am 27.April und von 2. bis 4.Mai. Ein weiterer Bericht folgt in der „Presse“ am Montag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2013)

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