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Tim Bendzko: Deutscher Soul in christlicher Hand

Bendzko Deutscher Soul christlicher
Bendzko Deutscher Soul christlicher(c) Columbia
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Bendzko rettet nicht bloß die Welt. Mit seinem ersten Konzert als Headliner auf der legendären Berliner Waldbühne erhebt er Anspruch auf noch mehr.

Es gibt vielerlei Arten von Augengläsern. Solche, mit denen man die Welt schärfer wahrnimmt und solche, hinter denen man sich versteckt. Tim Bendzkos Designerbrillen, die man schon aus seiner Tätigkeit als Juror der Wettsingshow „The Voice Kids“ kennt, dienen wohl am ehesten der Pflege eines Image. Die Lust, den Akzent dabei auf das Seriöse zu legen, verbindet ihn mit seinem früheren Mentor, Xavier Naidoo. Vor vier Jahren ist Bendzko im Rahmen eines Gesangswettbewerbs schon einmal auf der Berliner Waldbühne gestanden, nun, zwei Soloalben später, stemmt er die Riesen-Location erstmals als Headliner.

Die 22.500 Zuseher waren tatsächlich wegen ihm gekommen, dem Shootingstar von 2011, der mit Liedern wie „Nur noch kurz die Welt retten“ und „Wenn Worte meine Sprache wären“ die deutsche Form des Souls an die Spitze der Charts wuchtete. Die Berliner Fans feierten ihren Star überschwänglich. Der 28-jährige, im Stadtteil Köpenick aufgewachsene ehemalige Student der evangelischen Theologie wusste erwartungsgemäß, welche Gesten der Bescheidenheit zu setzen waren angesichts tausender in der Abendsonne blitzender roter Herzerlluftballons und einer Masse von Mitsingwilligen, wie man sie sonst nur vom Kirchtag kennt. Es war zweifellos der bislang größte Abend seiner rauschenden Karriere. Und das Beste daran? Auch die Mama war da.

„Sie nehmen sich, was dir gehört“

Bendzko begann den auf 28 Lieder kalibrierten Abend mit „Die Geier kreisen schon“, einem zart-paranoiden Song, der mit Zeilen wie „So wie du wollte ich nicht enden, ich halte meine Ehre hoch“ seinen Anspruch auf Moralität setzt. Wie im Angstschlager der Siebzigerjahre kämpft Bendzko in seinen Lieder beständig gegen unsichtbare Mächte. Mit sanftem Timbre gesungene Sätze wie „Sie nehmen sich, was dir gehört“, drängten das Publikum zur Parteinahme gegen die Geier.

Bendzkos kluge Kombination eingängiger Melodien und vager Texte verankert sich auf intensive Weise in den Emotionskanälen seiner Fans. Die Lieder gehen unter die Haut, vielleicht gerade deshalb, weil die Komplexität der Lyrics überschaubar bleibt. Für Humor, wie ihn die Berliner einst etwa mit dem subversiven Schlager „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ zu genießen verstanden, ist bei Bendzko kein Platz. Höchstens unfreiwillig. Wie in „Auch wenn es gelogen ist“, einem Liebeslied an ein Phantom. Mit Inbrunst zelebrierte Bendzko da die von Akkordeon und Klavier schön geschwungene Melodielinie und sang gänzlich ohne Augenzwinkern die erstaunliche Zeile „Ich hab dich so sehr vermisst, auch wenn ich dir noch nicht begegnet bin“. Aber das machte nichts, weil die deutlich in der Überzahl befindlichen Damen zu wissen glaubten, wen der Barde da anschmachtete.

Strategisch schlau baute Bendzko seine Freunde in die Show ein. Rapper FR durfte bei „Nur noch kurz die Welt retten“ auf den ins Publikum ragenden Laufsteg. Possierlich wackelnd brachten die beiden Spannung in die Sache mit den 148 Mails, die noch zu checken waren, ehe Zeit für die Herzdame war. Später kamen noch die ausdrucksstarke Sängerin Cassandra Steen, Rapper Chima und Henning, Bendzkos Jurykollege von „The Voice Kids“, hinzu. Ein sicheres Highlight war das Erscheinen einiger Burschen der Söhne Mannheims. Da wurde eine alte Freundschaft mit Grooves à la „Das hat die Welt noch nicht gesehen“ neu besiegelt.

Mag Bendzkos Liedkunst zuweilen etwas pseudoprofund wirken, der sympathische Bursche versteht es, den Nerv seiner Klientel zu treffen. Das lag einerseits daran, dass ihm sein leicht linkischer Gymnasiastenhabitus Sympathien schafft, aber auch daran, dass er große Probleme in Häppchen aufgreift. Etwa in „Programmiert“, einem Song über die Manipulationsmöglichkeiten im Internet. Bendzkos immer wieder anklingender Traum von der Fehlerlosigkeit ist jedenfalls kein als Glücksvorstellung getarnter Wunsch nach Unglück. Dieser Bursch ist bis in die letzte Faser konstruktiv. An diesem Abend hat er seinen Anspruch auf Gesangshoheit in den deutschen Stadien wirkungsvoll gestellt. Fazit: Der deutsche Soul ist auch abseits von Xavier Naidoo fest in christlicher Hand.

Auf einen Blick

Tim Bendzko, 1985 in Ost-Berlin geboren, schrieb mit 16 Jahren schon erste Lieder. Er begann ein Studium der evangelischen Theologie. 2009 bereits trat er als Sieger eines Talentwettbewerbs der Söhne Mannheims auf der Berliner Waldbühne auf und erhielt einen Plattenvertrag bei Sony Music. Am Samstag spielte er sein erstes Solokonzert auf eben dieser Bühne vor über 20.000 Fans. 2011 erschien sein Debütalbum „Wenn Worte meine Sprache wären“, aus dem die Hitsingle „Nur noch kurz die Welt retten“ gekoppelt wurde. Er ist Juror bei der TV-Talenteshow „The Voice Kids“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2013)

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