Pop

Lady Gaga ist Koons, Koons ist Gaga, und alles ist Pop, oder?

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„Artpop“ heißt das Werk: eine schöne Anmaßung der Sängerin, die sich zur „rich bitch“ stilisiert. Grell, aber nicht originell.

„Art Pop – we could belong together – Art Pop – come to me – with all your subtext and fantasy . . .“ Was für eine zärtliche Beschwörung! Stefani Joanne Angelina Germanotta, Studienabbrecherin an der Tisch School of the Arts der New York University, singt sie auf dem Titeltrack des dritten Albums, das sie als Lady Gaga veröffentlicht hat.

In der Schlussnummer „Applause“ erklärt sie ihre Mission genauer: „One second I'm a Koons, then suddenly the Koons is me. Pop culture was in art, now art's in pop culture in me.“ Was für eine herrliche Anmaßung: Lady Gaga, die sich in einem anderen Text zur „rich bitch“ stilisiert, holt die Kunst in den Pop, sie kann sich's leisten.
Gut, manchmal sind die Künstler ein bisserl undankbar. So hat Marina Abramović, bei der Germanotta ein paar Performance-Stunden genommen hat, zwar ein Video mit ihr gedreht, danach aber erklärt, dass sie Stil, Musik und Kunst von Lady Gaga wirklich hasse und ihre Aussage, diese sei die „Zukunft der Kunst“, nur sarkastisch gemeint habe.



Der alte Sex-Kitsch-Maniac Jeff Koons ist da – bis jetzt – viel braver. Er hat das Cover gemacht: Vor einer Collage, u. a. mit Fetzen aus Botticellis „Geburt der Venus“, sitzt Lady Gaga mit einer superblonden Frisur, wie sie einst Cicciolina, Koons' Ehefrau und Modell, trug, die Hände auf den Brüsten, vor der Leibesmitte eine der blauen Kugeln, die Koons vor kurzem als „Gazing Balls“ präsentiert hat. Abgebrühten Popbeobachtern mag da sofort das aktuelle „Wrecking-Ball“-Video von Miley Cyrus einfallen, in dem die nackte Cyrus viel Zeit auf und mit einer Kugel verbringt. Aber das war ja nur Pop, nicht Kunst . . .

Wild ist der Pop und teuer die Kunst

Oder? Verbreitet Lady Gaga die – nicht neue, aber hübsche – Idee, dass gerade der banalste Pop zur Kunst wird, wenn man ihn nur dazu erklärt? Dann würde sie dafür weder Abramović noch Koons strapazieren und auch nicht bei jeder Gelegenheit Andy Warhol zitieren. Nein, ihre „Artpop“-Strategie steht in der Tradition der „Classic-Rock“-Bands der frühen Siebziger, die glaubten, sie müssten die Rockmusik mit Bach-Zitaten und Hieronymus-Bosch-Covers adeln. Dahinter stand die ängstliche Idee, dass Pop an sich vulgär und blöd sei und der Nachhilfe aus dem Lager der „ernsten Künste“ bedürfe. Inzwischen hat sich das Kräfteverhältnis längst verschoben: Heute gieren alle Kunstkuratoren, alle Festivals moderner E-Musik nach Blutauffrischung aus dem Pop. Dass dieser auch nicht ewig als das Wilde, das Fremde, das nicht berechnende und nicht berechenbare „Andere“ bereitsteht, diese traurige Einsicht spricht sich allmählich herum.

Aber einmal geht's immer noch. Das weiß Jeff Koons, das weiß Lady Gaga. Das wusste auch der Rapper Jay-Z, der im heurigen Juli in der New Yorker Pace Gallery sein Video „Picasso Baby“ präsentierte, entstanden unter Mitwirkung der Künstler Marina Abramović, Lawrence Weiner oder Alanna Heiss. Darin rappt er Zeilen wie: „I just want a Picasso in my casa, no: in my castle. I want a billion Jeff Koons balloons, I wanna row of Christie's with my missy, live at the MoMA.“ Das war selbstironisch und ehrlich zugleich: Teure Kunst als ultimatives Statussymbol für den neureichen Ex-Dealer.

In dem postmodernen Zitatenbau, in dem Lady Gaga als Untermieterin haust, ist (Selbst-)Ironie sowieso die halbe Einrichtung. In „Aura“, dem ersten, mit seinem Trash-Ethno-Intro und dem Gangsterbraut-Timbre in der Stimme auch musikalisch interessantesten Song des Albums, funktioniert das noch ganz gut. „Do you wanna see the girl who lives behind the aura?“, höhnt sie, „Do you wanna see me naked, lover? Do you wanna peek underneath the cover?“ Die Pointe ist klar: Da ist nichts unter der Hülle.

In den weiteren Songs wird zumindest eine Essenz metaphernreich beschworen: der Sex. Die Lady reist zum Planeten Venus, preist Lippenstift und Maniküre, grüßt Himeros, den griechischen „god of sexual desire“, den sie in deutlichen Worten zur Missionarsstellung auffordert, wobei sie zugleich davon träumt, „that guy“ zu sein. Ein bisschen fantasierter Rollentausch findet sich auch in ihren „Sexxx Dreams“, das alles ist ja okay. Wirklich schlimm wird es, wenn sie in „Gypsy“ zu böllernden Mallorca-Rhythmen kreischend  erklärt, dass sie so gern eine Zigeunerin sein wolle, weil sie ja das „gypsy life“ liebe. Könnten sich nicht irgendwelche Kuratoren finden, die ihr solche Peinlichkeiten ausreden? Dann hätte die alte Allianz zwischen Kunst und Pop zumindest eine neue positive Wirkung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2013)

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