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Nick Cave: Meister zwischen Schwermut und Schwindel

KONZERT: NICK CAVE AND THE BAD SEEDS
KONZERT: NICK CAVE AND THE BAD SEEDS(c) APA (HERBERT P. OCZERET)
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Nick Cave, der alte Brüllaffe des australischen Post-Punk, schafft es heute sogar in Österreich auf die vordersten Ränge der Hitparaden. Im Wiener Gasometer bewies er, dass er mehr als bloß ein Entertainer des Abseitigen ist.

Vereinzelt erschallten sie auch an diesem Abend: die „Blixa, Blixa!“-Rufe, adressiert an Blixa Bargeld, der seit immerhin zehn Jahren nicht mehr bei Nick Caves Bad Seeds musiziert . . . Ja, Krawallschanis und missgestimmte Fanveteranen, im Grunde Romantiker des Scheiterns, haben es mittlerweile schon recht schwer mit ihren alten Helden. Nick Cave und die Bad Seeds waren in den Neunzigerjahren attraktive Vorturner der Fehlbarkeit, heutzutage schaffen sie es sogar in Österreich, diesem Paradies für volkstümlichen Schlager, auf Platz eins der Hitparade. In ihrer Frühzeit verwandelten sie charakterliche Hässlichkeiten in eine bunte Zirkusnummer, die kühn suggerierte, dass Renegatentum eine durch und durch narzisstische Angelegenheit sein müsste. „Heroin for me was like a nice cup of tea in the morning. It was like sitting in a comfy armchair with your feet up“, bestätigte Cave diese Deutung einmal.

Grandios, dass er diese ungesunde Form von Gemütlichkeit abgestellt hat und sich in zäher Kleinarbeit eine Nische des Geschichtenerzählens erobert hat, die lange Tradition hat. Meist sind es Plots, die in kruden Metaphern verhängnisvolle Versuchung und rätselhafte Gewaltausbrüche erforschen, zuweilen aber auch die Liebe desavouieren.

Caves lyrische Konstanz ist erstaunlich, sein fortgesetzter musikalischer Minimalismus ebenso. Das zeigte sich an diesem schönen Abend etwa in „Push the Sky Away“ und „Jubilee Street“, Liedern, deren ohnehin nicht verschwenderische Notenflut effektvoll eingedampft wurde. Gerade weil er Überreizung so konsequent vermeidet, gelingt es Cave, enorm dramatische Effekte zu erzielen. Im prall gefüllten Wiener Gasometer etwa mit dem epischen „Higgs Boson Blues“, einem Stück, das aus den kargen, aber selten farbarmen Bildwelten der afroamerikanischen Kultur schöpft: Robert Johnson ringt mit dem Teufel, in Memphis stehen alle Uhren still, unerträgliche Hitze liegt über dem Lorraine Motel, in dem Martin Luther King ermordet wurde. Wo er auf dem nächste Woche erscheinenden Livealbum „Live at the KRCW“ noch klagend intoniert, ging er vor seinen Wiener Fans in den Modus des Flüsterns über. „Can you hear my heartbeat?“, fragte er kaum vernehmlich. Die Antwort darauf raunte er sich gleich selbst zu: „No! No! No!“ Risikoreich wippte er am Bühnenrand, stach mit knochigem Zeigefinger ins Meer der Gesichter. Selten klang das Knistern verschlissener Illusionen verführerischer.

Die Menschen sind nicht nur schlecht!

Schön war schon zuvor die zarte Version von „People Ain't No Good“: Mit gespitzten Lippen sang Cave davon, dass die Herzen der Mitmenschen nicht grundsätzlich schlecht sind. „They nurse you when you're ill of health, they bury you when you go and die.“ Trotzdem ist der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen, bleibt er trotz aller Beziehungsdekoration im Grunde allein. Eine Einsicht, die Cave auf seinem Album „The Boatman's Call“, von dem dieses Lied stammt, auch in anderen Szenarien beklagt. An diesem Abend röchelte er davon noch zart „Into My Arms“, einen der wenigen Songs, die dieser leidenschaftliche Verrätsler in Ich-Form komponiert hat. Und dann war da noch „West Country Girl“, Versuch einer Aufarbeitung seiner rasch gescheiterten Romanze mit Sängerin P. J. Harvey. Am Ende miaute ihr sogar die fette Katze, dass die Liebe ehrlich ist. Erfolglos. Das rührt selbst die Hartgesottensten. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Wünsche ihre Nichterfüllung nur in der Kunst stilvoll überleben können.

Solche Momente der stillen Poesie kontrastierten die tapferen Bad Seeds mit tumultarischem Tosen, das die grundsätzliche Albtraumhaftigkeit des Daseins illustrierte. Da waren das bedrohliche „Tupelo“, das wüste „Do You Love Me?“ und selbstverständlich das fast schon absurd krachige „The Mercy Seat“, der vielleicht beste Song im Katalog Caves. Highlight des Abends war dennoch ein alter Bluesstandard. „Stagger Lee“, diese von Stolz und Gewalt triefende Moritat eines Mörders, Cave ließ sie in akkurater Manier an- und abschwellen. Häme und Mitleid waren da im Gesang völlig ausbalanciert. Ganz schön erstaunlich, was für ein Meister der Schwebezustände zwischen Schwermut und Schwindel dieser einstige Brüllaffe des Aussie-Punk doch geworden ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2013)

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