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Die Eurokrise in die Disco gebracht

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Stromae triumphierte mit seinem Mix aus Melancholie und Dancebeat. Was oberflächlich betrachtet wie funktionale Tanzmusik anmutet, bringt Desillusion und Unmut der heutigen Jugend in die sonst bloß hedonistische Disco.

Der schlaksige Mann strahlt auf der Bühne der Wiener Arena eine Elektrizität aus, die ganz offensichtlich im Publikum unbekannte Nervenspitzen mobilisiert. Das gellende Schreien stammte von den offenbar vollzählig versammelten Mädchen des Lycée Français de Vienne. Geboren als Paul van Hafer gab er sich den Künstlernamen Stromae. Das heißt Maestro auf Verlan, dieser immer noch beliebten Jugendgeheimsprache der frankofonen Welt, in der die Silben kreativ verdreht werden.

Die älteren Hörer erinnert Stromaes Stimme an Jacques Brel. Da wird das R ebenso musikalisch gerollt. Sogar die Ohren stehen ihm ähnlich frech vom Schädel ab wie dem Großmeister des Chansons. Weil das nicht genug der belgischen Referenzen ist, tragen seine Musiker Hüte wie einst die Figuren von René Magritte. Wie der berühmte Maler ist der Popsänger an der Spannung zwischen Gegensätzen interessiert: Sein musikalischer Minimalismus transportiert ernste Botschaften. Was oberflächlich betrachtet wie funktionale Tanzmusik anmutet, bringt Desillusion und Unmut der heutigen Jugend in die sonst bloß hedonistische Disco.

Vor etwas mehr als drei Jahren eroberte Stromae die Herzen mit „Alors On Danse“, einer spartanischen Kombination von Synthie-Beat, quäkender Trompete und erstaunlich kritischem Text. Plötzlich wehte eine echte Message durch die Großraumdiscos der sozial problematischen Vorstädte. „Wer Kredit sagt, sagt Gläubiger; wer Schulden sagt, sagt Gerichtsvollzieher“, quietschte Stromae mit seltsam trauriger Stimme über den flockigen Beats.

Hafenpolka mit Aids-Botschaft

Das Lied hatte einen Nerv getroffen. Es brachte 2010 die Eurokrise in die Disco und verkaufte sich über drei Millionen Mal. An diesem Abend war es die Schlussnummer des regulären Sets. Stromae hat mittlerweile genug andere signifikante Lieder. Etwa das von rhythmischem Klatschen im Publikum begleitete „Batard“, ein entrücktes Beat-Chanson, das mit der sozial festgelegten Geschlechtsidentität hadert. Oder „Quand C'est“, bei dem zu zart blubbernden Maschinenrhythmen Reime über die Angst vor dem Krebs gesungen werden. Durchaus humorvoll präsentierte Stromae seine „Belgitude“. Im Intro zu „Moules Frites“ erzählte er launig vom Ursprung der Pommes frites in Belgien. Bald begann das Lied trotz seiner ernsten Aids-Botschaft zu schaukeln wie eine trunkene Hafenpolka. Solche Kontraste sind das Bezwingende an seiner Kunst.

Stromae selbst bewegte sich dazu einmal geschmeidig, dann kunstvoll eckig. Angetan mit Mascherl und Hochwasserhosen hat er eine reizvolle Bühnenfigur entwickelt, die alle pantomimischen Stückerln spielt. Sehr anrührend glückte „Ave Cesária“, die Hommage an die verstorbene Morna-Sängerin Cesária Èvora. Stromae tändelt neuerdings vermehrt mit Calypso und Rumba. Den totalen Dammbruch gab es bei den Millionenhits „Formidable“ und „Papaoutai“ – gute Beispiele für Stromaes Gabe, Daseinsschwere seltsam leicht klingen zu lassen. (sam)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2014)

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